VERLUST DER IMPULSKONTROLLE AUCH UNTER ATYPISCHEN NEUROLEPTIKA?
Impulskontrollstörungen wie Spielsucht, Hypersexualität, Essattacken, zwanghaftes Geldausgeben oder Einkaufen sind bekannte Störwirkungen dopaminerger PARKINSON-Mittel wie Pramipexol (SIFROL, Generika; a-t 2005; 36: 84 und 2004; 35: 36).1 Offenbar können auch so genannte atypische Neuroleptika, die zur Therapie von Schizophrenie und bipolaren Störungen angeboten werden, die oft belastenden Verhaltensweisen auslösen: In mehreren Publikationen2-8 werden vor allem Spielsucht und Hypersexualität, aber auch zwanghaftes Essen oder Kaufen insbesondere in Verbindung mit Aripiprazol (ABILIFY; 24 Berichte) beschrieben sowie seltener mit Risperidon (RISPERDAL, Generika; 5 Berichte), Quetiapin (SEROQUEL, Generika; 2 Berichte), Amisulprid (SOLIAN, Generika; 2 Berichte) und Olanzapin (ZYPREXA, Generika; 1 Bericht). Die Impulskontrollstörungen treten mehrheitlich innerhalb weniger Tage bis Wochen nach Einnahmebeginn oder Dosiserhöhung der Antipsychotika auf, manchmal aber auch erst nach Monaten oder sogar Jahren. Bei nahezu allen Patienten bessern sich die Symptome nach Dosisreduktion oder Absetzen des Präparates oder verschwinden vollständig.2-8 Reexposition führt bei einem Patienten zum Wiederauftreten der Störung.3
Auch 36 Verdachtsmeldungen zu Impulskontrollstörungen, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Verbindung mit atypischen Neuroleptika dokumentiert, betreffen auffällig häufig Aripiprazol. In 15 Berichten wird es als Monotherapie eingenommen, in sieben weiteren in Kombination mit anderen Neuroleptika.9*
* | Weitere 14 Verdachtsfälle, in denen andere als die im Text aufgeführten Impulskontrollstörungen dokumentiert sind (z.B. impulsives Verhalten) bzw. eine dopaminerge Komedikation besteht, sind hier nicht berücksichtigt, -Red. |
Die Folgen des Impulskontrollverlustes sind oft schwerwiegend. Neben finanziellen und sozialen Auswirkungen können auch strafrechtliche Konsequenzen drohen: Beispielsweise begeht ein mit Aripiprazol behandelter Schizophreniepatient einen Raubüberfall, um seine Spielsucht zu finanzieren, und erhält nachfolgend eine Bewährungsstrafe.2 Ein anderer mit hypersexuellem Verhalten unter Risperidon belästigt zwei junge Frauen und wird verhaftet.4
Der Pathomechanismus der Impulskontrollstörungen ist unklar, angenommen werden Störungen dopaminerger und serotonerger Neurotransmittersysteme.10 Während bei den PARKINSON-Mitteln vor allem deren dopaminagonistische Effekte für die Verhaltensauffälligkeiten verantwortlich gemacht werden, wird für die atypischen Neuroleptika, die überwiegend dopaminantagonistische Eigenschaften haben, unter anderem ihr Einfluss auf Serotoninrezeptoren ursächlich diskutiert.2,4,7 Das besonders oft mit Impulskontrollstörungen assoziierte Aripiprazol besitzt zudem auch partialagonistische Funktion an Dopaminrezeptoren.2,11
Wenn unter atypischen Neuroleptika Störungen der Impulskontrolle auftreten, ist auch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung in Betracht zu ziehen. Patienten, Familienangehörige und Betreuer sollten über das Risiko informiert werden, damit die Störwirkungen rasch erkannt und die Behandlung angepasst werden kann. In den Fachinformationen wird derzeit allerdings lediglich bei Aripiprazol11 und dort auch nur vor pathologischer Spielsucht gewarnt, -Red.
1 | BfArM: Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel: Dopaminerge Substanzen und Impulskontrollstörungen, 14. Jan. 2013; http://www.a-turl.de/?k=inda |
2 | Prescrire International 2014; 23: 43-4 |
3 | AkdÄ: Dt. Ärztebl. 2006; 103: A3518 |
4 | DAVIDSON, C.K.D. et al.: Br. J. Psychiatry 2013; 203: 233-5 |
5 | SHARKEY, L. et al.: J. Child Adolesc. Psychopharmacol. 2002; 12: 367 |
6 | SMITH, N. et al.: Br. J. Psychiatry 2011; 199: 158-9 |
7 | CHEON, E.J. et al.: Psychiatry Investig. 2013; 10: 200-2 |
8 | GABORIAU, L. et al.: Addict. Behav. 2014; 39: 562-5 |
9 | BfArM: Schreiben vom 6. März 2014 |
10 | KUZMA, J.M., BLACK, D.W.: Curr. Psychiatry Rep. 2004; 6: 58-65 |
11 | Otsuka: Fachinformation ABILIFY, Stand Nov. 2013 |
© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 14. März 2014
Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten
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