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Therapiekritik

TYP-2-DIABETES – ERHÖHTE STERBLICHKEIT UNTER METFORMIN PLUS INSULIN?

Mehr als 15 Jahre nach Publikation der UKPDS (a-t 1998; Nr. 10: 88-90; 2008; 39: 73-6)1,2 ist die Datenlage zum Nutzen der blutzuckersenkenden Therapie bei Typ-2-Diabetes nach wie vor unbefriedigend. Auf der Basis der UKPDS gilt Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) generell als Mittel der ersten Wahl, obgleich es in dieser Studie nur bei übergewichtigen Patienten geprüft wurde. Eine Bestätigung für die sehr günstigen damaligen Ergebnisse zu dem Biguanid fehlt zudem. Welches Vorgehen bei unzureichender Wirksamkeit von Metformin das Beste ist, ist nicht systematisch erforscht. In der nationalen Versorgungsleitlinie wird Umstellung auf Insulin oder Kombination mit einem weiteren Antidiabetikum empfohlen, wobei die Deutsche Diabetesgesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin keine Präferenz für den Kombinationspartner formulieren, während die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft der Kombination mit Insulin den Vorzug geben.3*

* Dabei sind die Angaben zu den Empfehlungen von DEGAM und AkdÄ etwas widersprüchlich: Während es im Algorithmus heißt, dass ohne eine Empfehlung drei verschiedene Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen nebeneinandergestellt werden, wird in der zugehörigen Legende die Kombination aus Metformin und Insulin vorrangig empfohlen.3

Aktuell sorgt eine auf Versicherungs- und Registerdaten basierende retrospektive Beobachtungsstudie zum Thema für Diskussion. Die Autoren haben aus einer Gruppe von 43.000 Metforminanwendern, deren Therapie um Insulin oder Sulfonylharnstoff ergänzt wurde, 15.000 ausgewählt, bei denen es aufgrund ähnlicher Merkmale möglich war, jeweils 5 Patienten mit zusätzlichem Sulfonylharnstoff jeweils einem mit zusätzlichem Insulin zuzuordnen. Entstanden sind bei diesem so genannten Propensity-Score-Matching zwei Vergleichsgruppen mit hoher Übereinstimmung in den (bekannten) Ausgangsdaten. Nach Intensivierung der Therapie wird das Studienkollektiv im Median 14 Monate nachbeobachtet. Das HbA1c sinkt im Jahr nach der Therapieintensivierung in beiden Gruppen von 8,1% im Median auf 7% bzw. 6,9%. Die Metformin-Insulin-Kombination geht im Nachbeobachtungszeitraum im Vergleich zur Metformin-Sulfonylharnstoff-Kombination mit signifikant erhöhter Rate eines Kombinationsendpunkts aus Herzinfarkt, Krankenhausaufnahme wegen Schlaganfalls oder Tod einher (adjustierte Hazard Ratio [aHR] 1,30; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,07-1,58). Von den Einzelkomponenten unterscheidet sich nur die Gesamtsterblichkeit (aHR 1,44; 95% CI 1,15-1,79), und unter den Todesursachen sind nur die krebsbedingten Todesfälle signifikant erhöht (aHR 1,85; 95% CI 1,21-2,84).4

Bei einem mäßigen Risikoanstieg wie hier gefunden, lässt sich in Beobachtungsstudien eine ursächliche Arzneimittelwirkung von einem allein durch Verzerrung bedingten Effekt nicht sicher unterscheiden.5 Auch eine verfeinerte Methode wie das Propensity-Score-Matching kann für unbekannte Störgrößen (Confounder) nicht korrigieren.6 Von Bedeutung ist hier besonders das so genannte Confounding by Indication. Patienten mit Typ-2-Diabetes, denen im Verlauf ihrer Erkrankung Insulin verordnet wird, unterscheiden sich hinsichtlich der Schwere der Erkrankung von denen, die nach wie vor mit oralen Antidiabetika auskommen. Ob sich dieser Unterschied vollständig an messbaren Variablen ablesen lässt, ist unseres Erachtens zweifelhaft. Es bleibt daher offen, ob der aktuell gefundene Mortalitätsanstieg unter Insulinzusatz auf die Therapie oder ein höheres Ausgangsrisiko der Patienten zurückzuführen ist.

Aus bisherigen randomisierten Studien bei Typ-2-Diabetes ergibt sich unseres Wissens kein Beleg für Übersterblichkeit unter Insulin: Nicht aus der UGDP und hier auch nicht in Bezug auf die Krebssterblichkeit,7 nicht aus der UKPDS1 und ebenso wenig aus der großen ORIGIN-Studie mit Insulin glargin (LANTUS),8 wo ja eine erhöhte Krebssterblichkeit noch eher zu erwarten gewesen wäre (vgl. e a-t 7/2012). Die meisten Krebstodesfälle unter Insulin in der DIGAMI-2-Studie sind frühzeitig, nämlich im ersten Studienjahr, aufgetreten. Die nominell signifikant erhöhte Krebssterblichkeit unter Insulin in dieser Studie wird daher auch von den Autoren selbst nicht ursächlich auf Insulin zurückgeführt. Die Gesamtsterblichkeit unterscheidet sich auch hier nicht signifikant.9 Die Kombination aus Metformin mit Insulin ist unseres Wissens im Hinblick auf klinische Endpunkte nur im Vergleich mit Insulin allein in der HOME-Studie geprüft worden, die aufgrund ihrer Größe (390 Patienten) und nur weniger Todesfälle (4,6% versus 3,1%) keine hinreichenden Schlüsse zulässt.10 Ein Risikosignal ergibt sich aber aus der UKPDS für die Kombination aus Metformin plus Sulfonylharnstoff: Sie steigert die Sterblichkeit gegenüber Sulfonylharnstoff allein signifikant von 12% auf 18%.2

Die aktuelle Beobachtungsstudie ist im Rahmen der in den USA neuerdings stark geförderten vergleichenden Wirksamkeitsforschung (Comparative Effectiveness Research; CER) angesiedelt. Große Effektunterschiede sind bei der CER im Allgemeinen nicht zu erwarten. Sie sollte daher, um vernünftig interpretierbare Ergebnisse zu bringen, möglichst in Form von randomisierten kontrollierten, ggf. pragmatisch angelegten Studien durchgeführt werden. Solche Studien sind bei Typ-2-Diabetes dringend erforderlich.

∎  Das in einer aktuellen Beobachtungsstudie gefundene erhöhte Sterberisiko unter Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) plus Insulin im Vergleich zu Metformin plus Sulfonylharnstoff bei Typ-2-Diabetes lässt sich wegen des verzerrungsanfälligen Studiendesigns nicht vernünftig interpretieren.

∎  Da es aus randomisierten kontrollierten Studien keinen Beleg auf Übersterblichkeit unter Insulin bei Typ-2-Diabetes gibt, bleibt das von uns bevorzugte Vorgehen bei Versagen der Monotherapie mit Metformin die Umstellung auf Humaninsulin.

  (R = randomisierte Studie)
R    1 UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 837-53
R    2 UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 854-65
3 Bundesärztekammer et al.: Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes, Stand Apr. 2014; http://www.a-turl.de/?k=ento
4 ROUMIE, C.L. et al.: JAMA 2014; 311: 2288-96
5 TEMPLE, R.: JAMA 1999; 281: 841-4
6 FREEMANTLE, N. et al.: BMJ 2013; 347: f6409
R    7 The University Group Diabetes Program: Diabetes 1982; 31 (Suppl. 5): 1-81
R    8 The ORIGIN Trial Investigators: N. Engl. J. Med. 2012; 367: 319-28
R    9 MALMBERG, K. et al.: Eur. Heart J. 2005; 26: 650-61
R  10 KOOY, A. et al.: Arch. Intern. Med. 2009; 169: 616-25

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 4. Juli 2014

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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