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Im Blickpunkt

GEHEIME ERSTATTUNGSBETRÄGE – MFG:
Mit freundlichen Grüßen, Ihre Pharmaindustrie

Mit dem Ende März 2024 vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf des Medizinforschungsgesetzes1 (MFG) kommt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) langjährigen Forderungen der Pharmaindustrie entgegen.2 Das Gesetz soll die Rahmenbedingungen für den Forschungsstandort Deutschland verbessern.3 Einer der umstrittenen und inzwischen viel kritisiertenz.B. 4-7 Aspekte des Entwurfs ist das Vorhaben, Anbietern neu zugelassener patentgeschützter Arzneimittel eine Option auf Vertraulichkeit über die mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelten Erstattungsbeträge einzuräumen. Der Gesetzgeber vertraut dabei der Behauptung der pharmazeutischen Industrie, dass Anbieter hierzulande höhere Preisabschläge einräumen könnten, wenn die ausgehandelten Erstattungsbeträge geheim blieben.1 Für diesen Mechanismus finden wir keine Evidenz. Unbestritten ist hingegen, dass Sozialversicherungssysteme anderer europäischer Staaten, die sich für die Preisbildung auf Deutschland als Referenzland beziehen, geheime Preise nicht berücksichtigen können. Sie sehen nur die öffentlich zugänglichen überhöhten Listenpreise. Das bedeutet, dass das MFG dazu beiträgt, das Preisniveau in anderen Ländern hoch zu halten oder sogar zu steigern, wenn Firmen Listenpreise bewusst hoch ansetzen.8 Auch hierzulande würden sich die Preise für Folgepräparate an den hohen Listenpreisen orientieren.5 Ärztinnen und Ärzte können zudem die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels nicht beurteilen, wenn deren tatsächliche Kosten nicht bekannt sind.4

Die im Rahmen des 2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) eingeführten Erstattungsbeträge werden seit 2013 in Apothekenprogrammen ausgewiesen. Die erzielten Preisreduzierungen bleiben jedoch weit hinter den Erwartungen zurück, die das BMG geweckt hatte: „Keine Mondpreise mehr zahlen.“ (a-t 2010; 41: 101-3). Das AMNOG verhindert weder, dass die pharmazeutische Industrie initial nach Belieben Mondpreise realisieren kann, noch sorgt es dafür, dass diese in den Preisverhandlungen nach der Nutzenbewertung wesentlich reduziert werden (a-t 2013; 44: 17-8 und 53-4; 2019; 50: 105-8). Bleiben Erstattungsbeträge geheim, werden sie jeglicher öffentlichen Kontrolle und Kritik entzogen. Zudem steigt der bürokratische Aufwand – mit den damit verbundenen Kosten –, wenn die Differenz zwischen Markteinführungspreis und geheimem Erstattungsbetrag an die Kostenträger zurückerstattet werden muss.6

Mangelnde Transparenz hat dem Gesundheitswesen auch bisher nicht gut getan. Regierungen haben dabei den Kürzeren gezogen – zu Lasten des öffentlichen Haushaltes bzw. der Versichertengelder. So haben Bund und Länder in Geheimverträgen mit GlaxoSmithKline 2009 allein für den Wirkverstärkeranteil des Schweinegrippeimpfstoffs PANDEMRIX pro Dosis den absurd hohen Betrag von 6 € akzeptiert (a-t 2009; 40: 85-7). Auch die EU-Kommission machte es Jahre später nicht besser und bestellte in großem Maßstab SARS-CoV-2-Impfstoffe zu geheim gehaltenen Preisen.* Später wurde bekannt, dass trotz des erheblichen Bestellvolumens rund 20 € pro Dosis ausgegeben und bei Nachbestellungen Preissteigerungen bis 26% akzeptiert wurden (e a-t 8/2021c). Dies ermöglichte beispielsweise BioNTech 2022 einen Nettogewinn von 9,4 Milliarden € (a-t 2023; 54: 25-6).

*Bezogen auf Generika bringen Rabattverträge, die seit 2007 zwischen Generika-Anbietern und GKV-Spitzenverband streng geheim ausgehandelt werden, den Kassen zwar jährlich Einsparungen in Milliardenhöhe. Eine unabhängige Kosten-Nutzen-Analyse unter Berücksichtigung potenzieller Folgeeffekte fehlt jedoch auch hier. Fehlentwicklungen wie Orientierung am niedrigsten Preis als Hauptkriterium haben (ebenso wie die Festbetragsregelungen) wesentlich dazu beigetragen, dass die Arzneimittelproduktion weitgehend in den asiatischen Raum ausgelagert und hierzulande Produktionsanlagen geschlossen wurden. Letztlich geht ein großer Teil der seit Jahren bestehenden Lieferausfälle hierauf zurück (a-t 2022; 53: 89-91). Die entstehenden Mehrkosten sowie die erforderliche Sicherung der Versorgung mit relevanten Arzneimitteln durch Wiederherstellung der Produktion hierzulande und in Europa müssten gegengerechnet werden.

Bei Arzneimitteln, die mit Versichertengeldern bezahlt werden, darf es unseres Erachtens keine Geheimhaltungsvereinbarungen geben, nicht zuletzt auch, damit verschiedene Staaten nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Im Gegenteil: International ist größtmögliche Transparenz ratsam, vor allem in Bezug auf die Kostenerstattung teurer und allzu oft überteuerter patentgeschützter Medikamente.

Angesichts der in zehn Jahren im Durchschnitt pro Packung mehr als 50-fach gestiegenen Preise für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen muss dringend definiert werden, bis zu welcher Höhe („faire“) Preise zu Lasten der Versichertengemeinschaft toleriert werden können (a-t 2023; 54: 25-6). Den überwiegend multinationalen Konzernen sollte ein international abgestimmtes Vorgehen entgegengesetzt werden, das sich an den tatsächlichen Kosten für Forschung und Entwicklung orientiert und öffentliche Gelder und Subventionen einbezieht, die zur Entwicklung des neuen Arzneimittels beigetragen haben. Dabei sind auch angemessene Gewinne und Rücklagen für weitere Forschungsprojekte zu berücksichtigen. Vergleichende Arzneimittelstudien zu patientenrelevanten Themen sollten gezielt subventioniert werden. Ein solches Vorhaben mag utopisch klingen, ein Rechner für faire Preise, der die wesentlichen der oben genannten Kriterien einbezieht, wird jedoch bereits seit Jahren vom Internationalen Verband der Krankenkassenverbände und Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit (AIM) vorgestellt und propagiert.9

Durch die im MFG vorgesehene Geheimhaltung von Erstattungsbeträgen dürften absehbar die Gewinne von Pharmaanbietern eher steigen als sinken. Mit MFG assoziieren wir daher „Mit freundlichen Grüßen, Ihre Pharmaindustrie“.

1Bundesregierung: Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes, 25. März 2024; https://a-turl.de/4k9g
2Dtsch. Ärztebl.: Mitteilung vom 3. April 2024; https://a-turl.de/fxvn
3BMG: Pressemitteilung vom 27. März 2024; https://a-turl.de/wnrg
4KBV: Stellungnahme vom 7. Febr. 2024; https://a-turl.de/bkzw
5AOK Bundesverb.: Stellungnahme vom 20. Febr. 2024; über https://a-turl.de/kcge
6IQWiG: Stellungnahme vom 22. Febr. 2024; https://a-turl.de/ktmi
7G-BA: Stellungnahme vom 20. Febr. 2024; https://a-turl.de/fkca
8European Observatory on Health Systems and Policies: What are the implications of policies increasing transparency of prices paid for pharmaceuticals? 2022; https://a-turl.de/wbwf
9AIM: Mitteilung vom 11. Juni 2021; https://a-turl.de/6w9a

© 2024 arznei-telegramm, publiziert am 12. April 2024

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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