Langjährige arznei-telegramm-Leser werden sich an die eine oder andere Mitteilung zur Sicherheit von Blutderivaten erinnern. Nachfolgend stellen wir mit dieser Dokumentation in chronologischer Reihenfolge einige a-t-Artikel und Eingaben an das Bundesministerium für Gesundheit zum Thema Blutderivate zusammen, Red. aus arznei-telegramm 6 (1983), 59: aus arznei-telegramm 11 (1984), 90: aus arznei-telegramm 5 (1987), 42: AIDS-ERKRANKUNGEN BEI BLUTERN
|
1 | WHO Drug Information 2 (1988), 142 |
2 | BRACKMANN, H.-H., H. EGLI: Lancet 2 (1988), 967 |
3 | WHITE, G. C. et al.: N. Engl.J. Med. 320 (1989), 166 |
aus arznei-telegramm 5 (1990), 50
FAKTOR IX-KONZENTRAT PPSB BIOTEST UND HUMANSERUM BISEKO BIOTEST: RÜCKRUFE UND DIE FOLGEN
Am 27. April 1990 ordnete das Bundesgesundheitsamt das Ruhen der Zulassung für das Faktor IX-Präparat PPSB der Firma Biotest an, weil in zwei Kliniken bei sieben Patienten mit Hämophilie B unter der Gabe dieses Präparates eine HIV-Serokonversion beobachtet wurde. Überwiegend war ausschließlich das Faktor IX-Präparat der Firma Biotest angewendet worden (Pharmaz. Ztg. 135 [1990], 1149). Deshalb ist die Zusammenhangsvermutung begründet. Zwei Erklärungen sind möglich:
- Bei der Herstellung der Faktorenkonzentrate verwendete man kontaminierte Rohseren, die ohne die vorgeschriebene Virusinaktivierung und notwendigen Kontrollen in die Verkaufsware gelangten.
- Das Verfahren zur Virusinaktivierung mittels Detergentien (Beta-Propiolacton) und UV-Bestrahlung ist entgegen der bisherigen Annahme nicht virussicher.
Was immer letztlich die Ursache für die Kontamination von PPSB ist, die Folgen sind bedenklich. PPSB wurde nur zu ungefähr der Hälfte der Produktion zur Behandlung der seltenen Hämophilie B benötigt, die andere Hälfte der Produkte wurde breit gestreut zur Behandlung schwerkranker Patienten mit Koagulopathien (z.B. Blutungen nach oraler Antikoagulation) vorwiegend in der Intensivmedizin verwendet:
- Sollte es sich um einen Systemfehler des Inaktivierungsverfahrens handeln, ist die gezielte Nachuntersuchung von Patienten, die PPSB erhielten, auf eine HIV- Infektion erforderlich. Ferner müssen dann alle Produkte aus dem Handel genommen werden, die nach diesem Verfahren virusinaktiviert werden.
- Sollte es sich anhand der Rückstellmuster erweisen, daß es sich um mangelnde Sorgfalt bei einigen Chargen handelt, müssen diese zum Endverbraucher zurückverfolgt werden, um die Patienten zu identifizieren, die mit diesen Chargen behandelt wurden. Auch hier erscheint eine Nachuntersuchung der Patienten notwendig, um die Infektion von Partnern zu verhindern und die Schadenshaftung zu klären.
Da die zur "Infektionsprophylaxe" sowie zur Behandlung von Hypoproteinämien, Hypogammaglobulinämien, Schock und anderen Erkrankungen angebotene Konserve aus Humanserum BISEKO aus dem gleichen Ausgangsmaterial wie PPSB-Konzentrate hergestellt wird, zieht Biotest auch diese Infusionslösung "vorsorglich" vom Markt (Dtsch. Ärztebl. 87 [1990], C-922).
aus arznei-telegramm 8 (1991), 71:FAKTOR IX-KONZENTRAT PPSB "BIOTEST"
EMPFÄNGER GEZIELT NACHUNTERSUCHEN
Infektionsquelle der kürzlich bekanntgewordenen HIV-Infektionen bei acht Hämophilie B-Patienten und bei zwei oder mehr Patienten mit Koagulopathien nach Trauma bzw. Lebertransplantation ist die Charge 1601089 des PPSB "BIOTEST"-Gerinnungskonzentrates [vgl. at 5 (1990), 50]:
- In der genannten Charge fand sich das p24-Antigen auffällig hoch konzentriert. Das deutet auf eine ungewöhnlich große HIV-Viruslast im Ausgangsmaterial hin.
- Alle Betroffenen sind mit dem gleichen Virus infiziert. DNA-Sequenzanalysen ergaben unter den einzelnen Patienten zwischen 93 und 100% Übereinstimmung in einem "hypervariablen" Bereich des HIV env-Gens.1
- Nach "Look-Back"-Untersuchungen der Spender für das Ausgangsplasma sind acht Spender nachträglich serokonvertiert.2 Die für die Faktorenkonzentrate verwendeten Rohseren, die zu 40% aus den USA stammten,3 waren HIV-kontaminiert.
- Das Biotest-Inaktivierungsverfahren mittels "Kaltsterilisation" mit Betapropiolakton und UV-Bestrahlung scheint bei hochgradig belastetem Ausgangsmaterial zu versagen:
Das Frankfurter Paul-Ehrlich-Institut kopierte als staatliche Zulassungsstelle das Biotest-Sterilisationsverfahren für Blutprodukte unter Laborbedingungen.
Aus mit HIV kontaminiertem und anschließend so sterilisiertem Humanplasma ließen sich HIV-Lebendviren anzüchten, was für ein Versagen der
Biotest-Kaltsterilisation spricht.4 Der Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts hält "seine Untersuchungsergebnisse für methodisch
zutreffend."5
Das angeblich unerwartete Ergebnis des amtlichen Validierungsexperimentes belegt, wie riskant Blutprodukte sein können, wenn Blutspender nachträglich
serokonvertieren und zu spät als Träger des HIV-Virus erkannt werden, sofern Sterilisationsverfahren wie die Kaltsterilisation nach der Biotest-Methode
versagen.4
Da in den letzten Monaten weitere Empfänger von PPSB-KONZENTRAT "Biotest" der Charge 1601089 zufällig als HIV-infiziert erkannt
wurden, ist damit zu rechnen, daß die Zahl der Primärinfizierten größer als bisher angenommen ist. Sekundärinfektionen der Sexualpartner
der unwissentlich Infizierten sind zu erwarten. Die Charge reichte aus, um 4000 Patienten zu versorgen.
Wir empfehlen spezielle Nachuntersuchungen mit HIV-Tests für alle Patienten mit schweren Verbrauchskoagulopathien (z. B. Unfallverletzte), die ab Dezember
1989 mit dem Biotest-Konzentrat versorgt wurden.
Aus den geschilderten Mängeln ergeben sich Hinweise auf ein Organisationsverschulden der Firma Biotest. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt erhielt die
Strafanzeige eines Betroffenen gegen Verantwortliche des Unternehmens. Nach der jüngsten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes zu den
Sorgfaltspflichten in der Blutverarbeitung6 dürfen die durch PPSB-Biotest HIV-Infizierten auf ein Schmerzensgeld im Rahmen der Verschuldenshaftung rechnen,
das über den bisherigen Haftungsbetrag der für Biotest haftenden Colonia-Versicherung hinausgeht.
aus arznei-telegramm 9 (1991), 79:
GEGENDARSTELLUNG
In a-t 8/91 werden unter "Warnhinweise" die nachfolgenden Behauptungen aufgestellt, denen wir entgegentreten.
- Unrichtig ist die Behauptung, die Charge 1601089 des PPSB Biotest-Gerinnungskonzentrates sei die Infektionsquelle der kürzlich bekanntgewordenen HIV- Infektionen bei acht Hämophilie-B-Patienten und bei zwei oder mehr Patienten mit Koagulopathien nach Trauma bzw. Lebertransplantation. Richtig ist, daß die Charge 1601089 als Infektionsquelle dieser HIV-Infektionen nicht ausgeschlossen werden kann und daß die HIV-Infektionen bei acht Hämophilie-B- Patienten und bei zwei mit Koagulopathien behandelten Patienten, aber nicht mehr Patienten, bereits seit Mitte 1990 bekannt sind.
- Unrichtig ist die Behauptung, die auffällig hohe Konzentration des p24-Antigen in der genannten Charge deute auf eine ungewöhnlich große HIV-Viruslast im Ausgangsmaterial hin. Richtig ist, daß aus dem vorliegenden Datenmaterial eine quantitative Ausgangslast nicht abgeleitet werden kann.
- Unrichtig ist, daß nach "Look-Back"-Untersuchungen der Spender für das Ausgangsplasma acht Spender nachträglich serokonvertiert sind. Richtig ist, daß nachträglich Serokonversionen bei sechs Spendern gemeldet wurden.
- Unrichtig ist, daß die für die Faktorenkonzentrate verwendeten Rohseren HIV-kontaminiert waren. Richtig ist, daß alle Spenden Anti-HIV-negativ waren und daß die "Look-Back"-Untersuchungen keinen Beweis für eine HIV-Kontamination des früher gespendeten Plasmas liefern.
- Unrichtig ist, daß die Möglichkeit, aus einem mit HIV kontaminierten und anschließend so sterilisierten Plasma HIV-Lebendviren anzuzüchten, für ein Versagen der Biotest-Kaltsterilisation spricht. Richtig ist, daß die Anzucht der HIV-Lebendviren nicht für ein Versagen der Biotest- Kaltsterilisation spricht.
- Unrichtig ist, daß das Paul-Ehrlich-Institut ein amtliches Validierungsexperiment vorgenommen hat. Richtig ist, daß das Paul-Ehrlich-Institut im Auftrag von Biotest Pharma GmbH ein Gutachten erstellt hat.
- Unrichtig ist, daß in den letzten Monaten weitere Empfänger von PPSB-Konzentrat Biotest der Charge 1601089 als HIV-infiziert erkannt wurden. Richtig ist, daß der letzte Befund einer solchen HIV-Infektion am 1.7.1990 gemeldet wurde.
- Unrichtig ist, daß die Charge 1601089 ausreichte, um 4.000 Patienten zu versorgen. Richtig ist, daß die Charge 1601089 ausreichte, um maximal 2.325 Patienten zu versorgen.
- Unrichtig ist, daß die in dem Artikel unterstellten Mängel Hinweise auf ein Organisationsverschulden der Firma Biotest geben. Richtig ist, daß aus den unterstellten Mängeln nicht auf ein Organisationsverschulden geschlossen werden kann.
Biotest Pharma GmbH
Dr. P. PUSTOSLEMSEK Dr. M. KLOFT
W-6072 Dreieich
Das Pressegesetz verpflichtet zum Abdruck einer Gegendarstellung, auch wenn sie unwahre Angaben enthält. Die Richtigkeit unseres Warnhinweises
läßt sich anhand der in a-t 8 (1991), 72 genannten Quellen überprüfen. Die Behauptungen der Biotest Pharma GmbH erfolgen ohne Beleg. Zu
Punkt 2: Die Spezifität des p-24-Antigen-Tests für die Erkennung einer HIV-Kontamination wird für so hoch erachtet, daß die Einführung
dieser Untersuchung als zusätzlicher Sicherheitsfaktor gefordert wird (Schreiben der Universitätsklinik Bonn / Hämophilie-Ambulanz vom 10.
Dezember 1990 an das BGA). Dem Punkt 5 der Biotest Pharma GmbH steht die Feststellung des Paul-Ehrlich-Instituts entgegen, es halte seine
Untersuchungsergebnisse über das Versagen der Biotest-Kaltsterilisationsmethode (die in a-t 8/91 kurz referiert wurden) für "methodisch und
wissenschaftlich für zutreffend". Das Paul-Ehrlich-Institut teilt uns zu Punkt 6 mit, es sei "in Amtshilfe für das Bundesgesundheitsamt tätig
geworden". Wir bleiben bei unserer Darstellung (Red.).
aus arznei-telegramm 9 (1991), 78:
Wie entwickelt sich die Lebenserwartung bei Hämophilie mit angeborenem Faktor-VIII-Mangel? Vermutlich bessere Behandlungsmethoden ließen
die Lebenserwartung von Personen mit klassischer Hämophilie (Hämophilie A, Faktor-VIII-Mangel) von 1941 bis 1980 in den Industrienationen signifikant
ansteigen. Mit der generellen Verfügbarkeit lyophylisierter Faktor-VIII-Konzentrate stieg sie insbesondere von 1971 bis 1980 an. In dieser Dekade wurde eine
mittlere Lebenserwartung von annähernd 68 Jahren erreicht. Im Vergleich zur US-amerikanischen Normalbevölkerung kann bei schwerem Faktor-VIII-
Mangel die Sterblichkeit bis zum 6fachen erhöht sein, während mäßig betroffene Personen eine annähernd normale Lebenserwartung
haben können. Jetzt ist der Trend gegenläufig. Von 1981 bis 1990 hat sich die Prognose der klassischen Hämophilie dramatisch verschlechtert.
Insbesondere Patienten mit hohem Faktor-VIII-Bedarf laufen das Risiko, an einer durch Plasmaderivate übertragenen HIV-Infektion zu erkranken. So fiel die
Lebenserwartung in den 80er Jahren gegenüber der Vordekade auf 49 Jahre. Betroffen ist besonders die Altersgruppe zwischen 15 und 34 Jahren. Von 52
zwischen 1981 bis 1990 verstorbenen Personen waren 26 an AIDS erkrankt (22 litten an hochgradigem, einer an mäßigem und drei an gering
ausgeprägtem Faktor VIII-Mangel). Das Durchschnittsalter der an AIDS Verstorbenen betrug 33 Jahre (Spannbreite 8 bis 71 Jahre). Wann der Gipfel der AIDS-
bedingten Mortalität erreicht sein wird, läßt sich bei der unterschiedlichen Inkubationszeit und der ungewissen Überlebenszeit der Betroffenen
nicht vorausbestimmen (JONES, P. K., O. D. RATNOFF: Ann. Intern. Med. 114 [1991], 641).
VERUNREINIGUNG VON PLASMA-PRÄPARATEN
MIT HEPATITIS A
Einige in Italien hergestellte Faktor VIII-Präparate sollen nach einer Meldung des italienischen Gesundheitsministeriums eine Hepatitis A-Infektion hervorgerufen haben und sind nicht mehr verkehrsfähig:
UMAN CRY V.I. 500 U, Charge: 421003-421005-421006
UMAN CRY OCTA V.I. 250 U, Charge: 411001
EMOCLOT OCTA V.I. 500 U, Charge: 0556900101-451006-451009
EMOCLOT OCTA V.I. 1000 U, Charge 0559910101-461010-461029.
Die Faktor VIII-Präparate werden mit dem sogenannten Solvent-Detergent oder HOROWITZ-Verfahren inaktiviert: Über dessen Mängel wie
verringerte Gerinnungsaktivität und umstrittene Virusinaktivierung sowie Fieberreaktionen und andere Störwirkungen bei einem derartig behandelten
Faktor VIII-Präparat berichteten wir in a-t 2 (1991), 23. Das HOROWITZ-Verfahren inaktiviert nur die Proteine der Virushülle, so daß das
hüllenlose Hepatitis-A-Virus nicht erfaßt wird. Andere Viren ohne Hülle wie z.B. das Parvovirus B19, der Erreger der Ringelröteln, entgehen
ebenfalls dem HOROWITZ-Verfahren. Die Kontamination kann entweder durch infizierte Spender oder durch unsauberes Produktionsverfahren in die Faktor VIII-
Präparate gelangt sein. Der Vertreiber der betroffenen Plasmapräparate ist Lizenznehmer der Firma Octapharma GmbH, Düsseldorf. Die betroffenen
Chargen sollen in Deutschland nicht vertrieben worden sein (Schreiben der Octapharma GmbH vom 16. März 1992). Dennoch ist nicht auszuschließen,
daß entsprechende Zubereitungen auch nach Deutschland gelangt sind.
Octapharma verwendet die "Virusinaktivierung" nach HOROWITZ für gepooltes Frischplasma (Ärzte Ztg. vom 21./22. Feb. 1992). Die
Gerinnungsfaktorenkonzentrate der Biotest Pharma GmbH wie Faktor VIII- und Faktor IX-Präparate, die nach dem HOROWITZ-Verfahren behandelt sind,
kommen mit einer Vorbehaltsklausel in den Handel: "Bei der Anwendung von aus menschlichem Blut hergestellten Arzneimitteln ist die Übertragung von
Infektionskrankheiten durch Erreger auch bisher unbekannter Natur nicht völlig unwahrscheinlich. Dies gilt z.B. für die Non-A Non B-
Hepatitis."
WIE VIRUSSICHER SIND PLASMAPRÄPARATE?
Seit kurzem bietet der Blutspendedienst des Roten Kreuzes virusinaktiviertes Frischplasma an. Ist das verwendete Virusinaktivierungsverfahren
mängelfrei oder umstritten (z.B. ähnlich dem HOROWITZ-Verfahren; a-t 3 [1992], 32)? Ist das
Infektionsrisiko generell nicht nur bezogen auf Viren für die nicht-virusinaktivierten Frischplasmapräparate tatsächlich deutlich
höher im Vergleich zu virusinaktiviertem Frischplasma? Ist die Empfehlung gerechtfertigt, für Patienten ab sofort nur noch virusinaktiviertes Frischplasma
trotz der pro transfundierten Einheit um 67,- DM höheren Kosten zu verwenden?
Dr. med. W. SCHITTENHELM (Internist)
W-8430 Neumarkt/Oberpfalz
Einer gemeinsamen Patientin wurde von einem Kollegen wegen Verdachtes einer Virusinfektion ein Immunglobulin-Präparat verordnet mit der Bitte an mich, es
der Patientin intravenös zu verabreichen. Uns bewegt nun die Frage nach der Sicherheit solcher Immunglobulin-Präparate (PURIMMUN, BERIGLOBIN,
VENIMMUN u.a.) bezüglich der Gefahr einer HIV-Kontamination. Können Sie Auskunft geben?
U. FISCHER (Arzt)
W-6200 Wiesbaden
FRISCHPLASMA: Das Infektionsrisiko von gerinnungsaktivem Frischplasma ist weltweit nur mangelhaft dokumentiert, da bislang keine prospektive
Studie hinsichtlich der Übertragung von Viren und anderen Erregern durch Frischplasma vorgelegt wurde.
Das Risiko einer HIV-Infektion bei Blutspenden mit negativen HIV-Antikörpern soll bei 1 zu 38.000 bis 300.000 Blutspenden liegen,1,2 das einer Non-
A/Non-B-Hepatitis bei 1:100 und das einer Hepatitis B bei 1:1.300 der Blutspenden.1 Die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung durch Plasma ist
demnach geringer als das Infektionsrisiko für eine Non-A/Non-B-Hepatitis bzw. Hepatitis B. Bei herkömmlichen, nicht-virusinaktivierten tiefgefrorenen
Frischplasmapräparaten handelt es sich um Einzelspenderpräparate. Sollte ein Spender infiziert sein, ist nur ein Empfänger infektionsgefährdet.
Bei virusinaktiviertem gepoolten Frischplasma können durch einen infizierten Spender im Pool alle Empfänger angesteckt werden (vgl. a-t 2 [1991], 23). Das Poolen von 1000 Spenderplasmen erhöht das Infektionsrisiko um das 1000fache (4 log-
Stufen), wenn nur ein Spender infiziert ist.
Das HOROWITZ-Verfahren (SD-Verfahren), mit dem nur gepoolte Frischplasmen behandelt werden können, wirkt hinsichtlich der Inaktivierung
sogenannter behüllter Viren. Wenig effektiv ist es dagegen zur Inaktivierung nicht-behüllter Viren (vgl. a-t 3 [1992], 32). Aus experimentellen Daten ergibt sich nach Angaben eines von uns befragten Experten, daß
mittels des SD-Verfahrens das Infektionsrisiko um 6 log-Stufen vermindert wird. Damit ergibt die Anwendung von virusinaktivierten Plasmen nur eine Risikominderung
um maximal 2 log-Stufen, also um den Faktor 100. Durch Verwendung von Karenzplasmen (Freigabe des Plasmas zum Verbrauch erst nach neuerlicher
Untersuchung des Spenders nach 4 Monaten) alleine wird das Infektionsrisiko bereits um den Faktor 10 vermindert. Durch das SD-Verfahren ist bei Karenzplasmen
dann nur noch eine Risikominderung um den Faktor 10 erreichbar. Bei größerem Pool mit mehr als 1000 Spendern strebt der Faktor gegen 1. Es bleibt die
Frage, ob dieser geringe Gewinn an Sicherheit durch SD-Inaktivierung für klinische Situationen relevant und kostenmäßig vertretbar ist.
Das Fotoinaktivierungsverfahren mit Methylenblau bietet möglicherweise eine positivere Risiko/Nutzen-Abschätzung: Plasmen werden nicht
gepoolt, sondern nur als Einzelplasma behandelt. Für das Verfahren ist mittels experimenteller Viren eine Virusabreicherung um ungefähr 4 log-Stufen
belegt. Bei Verwendung von Karenzplasmen zusätzlich zur Inaktivierung erhöht sich die rechnerische Sicherheit auf 5 log-Stufen, also um das
10.000fache. Die klinische Relevanz dieses rechnerischen Vorteils läßt sich derzeit nicht beurteilen. Die Verträglichkeit der Präparate ist für
die hochdosierte und längere Anwendung noch nicht hinreichend gesichert.
ALBUMIN/IMMUNGLOBULINE: Während die Produkte mit zellulären Bestandteilen nicht virusinaktivierbar sind und deshalb ein Restrisiko
tragen, fordert das Bundesgesundheitsamt für Gerinnungsfaktoren-Präparate und andere inaktivierbare Plasmaprodukte wie Immunglobuline die
Anwendung eines Inaktivierungsverfahrens.3
Die Hersteller von VENIMMUN, BERIGLOBIN und PURIMMUN geben an, daß durch Kältefällung mittels Ethanol im Rahmen des COHN-
Verfahrens HIV-1- und -2-Viren wirksam inaktiviert werden. Die nachfolgende reversible oxidative S-Sulfonierung soll bei VENIMMUN und BERIGLOBIN sowohl
behüllte als auch hüllenlose Viren komplett eliminieren. Zur Verminderung des Risikos einer Hepatitis C-Virusübertragung erfolgt eine
Pasteurisierung (Hitzeinaktivierung) von BERIGLOBIN und GAMMAGLOBIN. Die Polyethylenglykolfraktionierung von PURIMMUN soll andere Viren
inklusive Hepatitis B ausschalten. Den Herstellern Behring und Armour-Pharma sind nach eigenen Angaben keine Übertragungen von HI- oder Hepatitis-Viren
durch ihre Immunglobulin-Präparate bekannt.4,5
Albumin und Gammaglobulin stellen aufgrund des Herstellungsverfahrens (Alkoholfällung und Erhitzung) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein
Infektionsrisiko mit HIV-1 und Hepatitis B dar.3 Es gibt jedoch in der Literatur zahlreiche Hinweise, daß durch Immunglobuline Non-A/Non-B-Hepatitis
übertragen wurde.7,8,9 Anti-HIV-Antikörper wurden bei sieben Empfängern von intravenösem Immunglobulin nachgewiesen. Die
Antikörper verschwanden mit der Zeit, was auf passive Übertragung schließen läßt. Übertragungen des HI-Virus sind nicht
beschrieben.10
Zur Verringerung einer Hepatitis C-Virusinfektion durch Blutprodukte fordert das Bundesgesundheitsamt so früh wie möglich die ausschließliche
Verwendung von auf Hepatitis C-Virus-Antikörperfreiheit getestetem Ausgangsmaterial, spätestens ab 1. November 1992. Laut Herstellerangaben soll seit
November 1990 für nicht inaktivierbare Blutprodukte nur noch Hepatitis C-antikörperfreies Ausgangsmaterial verwendet worden sein
(Red.).6
aus arznei-telegramm 10 (1992), 103:
Virussicherheit von Plasmaderivaten Hepatitis C-Risiko: Über die Virussicherheit von Plasmapräparaten berichteten wir in a-t 9 (1992), 91. Plasmapräparate, die durch Hitzebehandlung (60° C für 10 Stunden) virusinaktiviert
werden, gelten als besonders sicher. Dies scheint nicht für das Hepatitis C Virus (HCV) zu gelten. Ein Bericht über das Faktor VIII-Präparat
HAEMATE P (HS) (Behringwerke) beschreibt die Konversion eines Patienten in der Zeit zwischen Mai 1991 und Oktober 1991 (SCHULMAN, S. et al.: Lancet 340
[1992], 305). Diese Erkrankung hätte mutmaßlich vermieden werden können, wenn die Maßnahmen des Bundesgesundheitsamtes zur Hepatitis
C-Sicherheit von den Herstellern zügig umgesetzt und nicht von einigen Großherstellern durch Widersprüche verzögert worden wären.
1990 wurden Testverfahren zur Untersuchung von Blutplasma auf HCV verfügbar. Im Oktober 1990 ordnete das Bundesgesundheitsamt an, daß ab 1.
Nov. 1991 nur noch Blutprodukte in den Handel gelangen dürfen, deren Ausgangsmaterial auf HCV untersucht wurde (BGA: Bescheid G V 72-7251-01-
1763/233 vom 25. Okt. 1990). Es wurde also eine einjährige Frist zur Produktionsumstellung eingeräumt. Während kleinere Hersteller diese Auflage
zügig und zeitgerecht umsetzten, legten zahlreiche Großhersteller einschließlich einiger Landesverbände des DRK mit der Drohung
umstellungsbedingter "Produktionsabrisse" Widerspruch ein und erreichten eine Verlängerung des Termins auf den 1. Nov. 1992. Es ist nicht
nachvollziehbar, daß kleinere Hersteller die Schwierigkeiten der Umstellung zügig und termingerecht lösen konnten, während
Großherstellern dieses nicht gelang. Oder war die Terminverzögerung "lagerbedingt" und nicht "umstellungsbedingt"?
Schließlich verfügen Großhersteller in der Regel über große Warenlager, die längere Fristen für den Abverkauf erfordern. Mit den
verlängerten Umstellungsfristen wurde der als höchstrichterliche Rechtsprechung geltende Grundsatz des CONTERGAN-Einstellungsbeschlusses,
Sicherheitsinteressen des Patienten vor dem Wirtschaftsinteresse des Herstellers rangieren zu lassen, in das Gegenteil verkehrt.
aus arznei-telegramm 10 (1992), 104:
HIV-Infektionen nach Hepatitis-Impfstoff HEVAC B und PPSB Immuno: Auf Anraten des Arbeitgebers ließ sich 1982/1983 eine damals 26jährige
MTA dreimal mit dem Impfstoff HEVAC B gegen Hepatitis B impfen. Zur diagnostischen Abklärung einer Lymphknotenschwellung suchte die junge Frau 1987
eine Klinik auf. Ursache der Erkrankung war eine HIV-Infektion, die sie sich durch die HEVAC B Vakzine (Institut Pasteur) zugezogen haben kann (NETZWERK-Fall
5884).
Für Hepatitis-B-Impfstoffe wurden bis 1983 Humanplasmen von US-amerikanischen Spendern, auch von Homosexuellen und AIDS-Kranken,
verwendet.1 Aus gleichem Ausgangsmaterial wurden Hepatitis B-Immunplasma und andere Plasmafraktionen wie Faktor VIII-Konzentrate, Faktor IX-Komplex
und Albumin hergestellt. Im Juli 1983 bestand in Deutschland für den französischen Hepatitis B-Impfstoff HEVAC B (Pasteur) ein vorübergehendes
Einfuhrverbot, da die in erheblichen Mengen über AMG § 73, Abs. 3 aus Frankreich importierte Vakzine bedenklich erschien. Nach Applikation der Charge
010 waren in der Verträglichkeitstestung an Affen Leberentzündungen aufgetreten. Das Ausgangsmaterial der Charge enthielt erstmals US-Importplasma
aus dem Blut bezahlter und möglicherweise AIDS-infizierter Spender. Die Charge 011 von HEVAC B stufte das Paul-Ehrlich-Institut als bedenklich ein. Es
bestanden Anhaltspunkte, daß bei bestimmungsgemäßer Anwendung schädliche, nicht vertretbare Wirkungen entstehen. Diese Charge war ab
März 1983 in Frankreich verfügbar und durfte in der Bundesrepublik nicht mehr vertrieben werden.2 Danach war HEVAC B vorübergehend
nicht lieferbar. Der Impfstoff HB-VAX der Firma MSD soll durch drei Reinigungsschritte erregerfrei gewesen sein, obwohl man zu diesem Zeitpunkt das HI-Virus
noch nicht isoliert hatte. Bedenken, die erworbene Immunschwäche (AIDS) könne durch die Hepatitis-Impfung verbreitet werden, trat das Bundesamt
für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) entgegen. Es habe keine Zweifel an der Unschädlichkeit der in Deutschland zugelassenen
Impfstoffe.3
In einer Hamburger Klinik bekam wegen Gerinnungsstörungen ein 1983 43jähriger Patient vor einer geplanten Laparoskopie dreimal das PPSB-Konzentrat
PROTHROMPLEX der Firma Immuno. Das nicht-virusinaktivierte PROTHROMPLEX kam im Oktober 1984 außer Handel. Für eine 1989 zufällig
entdeckte HIV-Infektion des Patienten muß das Immuno-Präparat als Infektionsquelle gelten (NETZWERK-Fall 5885).
Bei Redaktionsschluß erfahren wir von weiteren sechs Patienten mit positivem HIV-Test nach PPSB "Behring". Wir empfehlen, sorgfältig die
Vorgeschichte zu erheben und bei Kenntnis von der Anwendung von HEVAC B oder PPSB-Konzentraten im Zeitraum vor 1985, die Möglichkeit einer HIV-
Infektion (z.B. unklare Lymphknotenschwellung) in diagnostische Überlegungen einzubeziehen und ggf. mit den Patienten eine vorsorgliche HIV-Testung zu
erwägen. Wir bitten um Mitteilung entsprechender Beobachtungen an das NETZWERK (Meldebogen auf dem Briefumschlag dieser Ausgabe).
1 | Scrip 774 (1983), 15 |
2 | chemotherapie-telegramm 6 (1983), 62, 69 |
3 | BREDE, H. D.: Dtsch. med. Wschr. 108 (1983), 1373 |
Dr. med. U. M. MOEBIUS Institut für Arzneimittelinformation Berlin | |
Herrn Bundesminister SEEHOFER -persönlich- Bundesministerium für Gesundheit W-5300 Bonn | |
PER TELEFAX | 9. November 1992/woi |
HIV-Infektionen nach Medikamente/ Bundestagsdrucksache 12/2323 vom 23.3.1992 | |
Sehr geehrter Herr Minister SEEHOFER, |
Dr. med. U. M. MOEBIUS Institut für Arzneimittelinformation Berlin | |
Herrn Bundesminister SEEHOFER -persönlich- Bundesministerium für Gesundheit W-5300 Bonn | |
PER TELEFAX 0228-9304978 | 17. Dezember 1992/woi |
Virussicherheit von Blutprodukten | |
Sehr geehrter Herr Minister SEEHOFER, |
aus arznei-telegramm 12 (1992), 127
ZUR INFEKTIONSGEFÄHRDUNG DURCH BLUTPRODUKTE
Sind die Gesundheitsbehörden in Deutschland rechtzeitig tätig geworden, um die Übertragung von Virusinfektionen an Empfänger von
Blutprodukten auf das unvermeidliche Restrisiko zu begrenzen?
Der Bundesminister für Gesundheit stellt die Aufsichtstätigkeit des ihm unterstellten Bundesgesundheitsamtes (BGA) in einer Stellungnahme für den
Gesundheitsausschuß des Bundestages dar.
Sein Ministerium und die Bundesregierung kommen unter öffentlichen Druck. Durch Blutgerinnungspräparate (Faktor VIII und Faktor IX/PPSB)
hergestellt aus Rohplasma US-amerikanischer Spender sind in Deutschland möglicherweise über 2.000 Menschen HIV-infiziert worden. Betroffen
sind nicht nur Bluter, sondern auch intensiv-medizinisch betreute Patienten, die wegen eines Polytraumas, einer lebensbedrohlichen Blutung (z.B. Magenulkus) oder
zur Prophylaxe vor diagnostischen bzw. chirurgischen Eingriffen einmalig PPSB-Blutgerinnungskonzentrate erhielten und inzwischen an AIDS erkrankt sind.
Der Sachstandsbericht des Bundesministeriums klammert jedoch wesentliche Fakten aus.
Die heute in Deutschland verkauften Gerinnungskonzentrate mit Faktor VIII bzw. Faktor IX/PPSB erscheinen nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes nicht mehr verkehrsfähig, da sie Rohplasma aus HIV-Risikoregionen bzw. von bezahlten Spendern enthalten.
Noch bis zum 23. März 1992 ließ die Bundesregierung Parlament und Öffentlichkeit im Glauben, eine Virusinaktivierung sei für
Gerinnungsfaktorenkonzentrate von Amts wegen angeordnet worden. Tatsächlich fehlt eine solche Anordnung bis heute. Im Bericht des
Bundesgesundheitsministeriums vom 30. Nov. 1992 wird behauptet, dem Bundesgesundheitsamt fehle eine Auflagenbefugnis, bestimmte Herstellungsverfahren
für Arzneimittel festzulegen. Eine solche Anordnungsbefugnis praktiziert das staatliche Bundesamt für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) seit 1983
mit Zustimmung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Das BGA betrachtete die verschiedenen Virusinaktivierungstechniken als gleichwertig, obwohl längst feststand, daß die Pasteurisierung bei mindestens 60
°C über mindestens 10 Stunden den Goldstandard für den Sicherheitsvergleich bildete.
Daß sich einzelne Institute des BGA über Zuständigkeiten streiten, wenn vitale Fragen der Arzneiversorgung zu lösen sind und der
Informationsaustausch über das HIV-Risiko von Plasmaderivaten zu beurteilen ist, ist für Außenstehende kaum zu verstehen. So hat das
Arzneimittelinstitut des BGA Kenntnis von 65 Verdachtsfällen einer HIV-Infizierung durch PPSB-Konzentrat*, etwa 40 Fälle erfaßte das AIDS-Zentrum
des BGA in Berlin, und kein Fall wurde angeblich dem Paul-Ehrlich-Institut bekannt. Entsprechend verzettelt wurden kardinale Ziele der Schadensbegrenzung
verfolgt wie
* | PPSB = Gemisch verschiedener Gerinnungsfaktoren u.a. Faktor IX. Es findet bei Hämophilie B als Mittel der Wahl Verwendung und bei Gerinnungsstörungen auch bei Nichtblutern (z.B. im Blutmangelschock, nach Blutverlusten, Synthesestörungen der Leber u.a.). |
- Gewinnung infektionsfreien Ausgangsmaterials bei Spendern,
- Erlangung harter und abgesicherter Unterlagen über die angewandten Virusinaktivierungstechniken,
- Marktrücknahme von Handelsware, die nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnis oder der Verfahrenstechnik entsprach.
Während bis zum Ende der siebziger Jahre die Lebenserwartung der Hämophilen etwa der Durchschnittserwartung der Bevölkerung entsprach,
so liegt sie heute nach der HIV-Infizierung durch Plasmapräparate bei etwa 30 Jahren. Sie hat sich mehr als halbiert. Diese Angabe fehlt auf Seite 37 des
SEEHOFER-Berichtes. Über das Ausmaß der Gefährdung der Bluter durch den unbekannten Erreger des Immunschwächesyndroms AIDS
versuchen Bluterspezialisten und Gerinnungskonzentrateanbieter, die Aufsichtsbehörden im Verbund mit einem Virologen noch 1983 zu täuschen, als die
Erkrankung durch US-Plasmaderivate längst eingeschleppt ist. Den Tod eines im April 1982 in der Bonner Universitätsklinik verstorbenen
Hämophiliepatienten mit autoptisch gesicherter AIDS-Erkrankung klassifiziert die Mitinhaberin der Firma Immuno in der Jahresmitte 1983 als
"diagnostischen Irrtum". Weil der Tod bei einem Leberleiden eintrat, schuldigte sie ohne stichhaltige Begründung Alkoholkonsum als Ursache
an.2
Schon im Herbst 1986 gingen dem BGA drei Fallmeldungen über HIV-Infektionen nach PPSB "BEHRING" zu. Am 4. Dez. 1986 soll der
zuständige Sachbearbeiter des BGA ein Stufenplanverfahren zur Abwehr von Arzneimittelrisiken gegen die Firma Behring eingeleitet haben. Doch die
Behörde führte das Verfahren nicht fort, was indirekt an den Verdacht der Begünstigung im Amt denken läßt. Erst als im Juli 1987
virologisch kompetente BGA-Mitarbeiter Alarm schlagen, weil die Sicherheit von Faktor IX/PPSB außerhalb der Wahrnehmung der Gesundheitsbehörden
bleibt, wird erstmalig im Aug. 1987 ein Informationsaustausch des Amtes mit den pharmazeutischen Unternehmern über die Virussicherheit von PPSB
begonnen. Konsequenzen bleiben aus auch als feststeht, daß AIDS auf diesem Weg in die nicht typischen Risikogruppen einbricht etwa wenn
Patienten mit massiven Blutungen und konsekutivem Gerinnungsfaktormangel (z.B. massiv blutendes Magenulkus, massive Blutungen nach der Geburt) einmalig
PPSB intravenös bekommen müssen. Mitunter Jahre später wird eine HIV-Positivität zufällig entdeckt. Die Behauptung der AIDS-
Sicherheit von Blutprodukten nach dem Stichtag vom 1. Okt. 1985 wird erschüttert, wenn jetzt die Bundesregierung öffentlich erklärt, noch 1986 sei
"eine kleine Menge eines nicht inaktivierten Faktor-IX-Präparates der Fa. Organon-Technika in den Verkehr" gelangt und damit einen HIV-
Infektionsfall in Verbindung bringt.1
Die Bundesregierung lehnt eine Staatshaftung für HIV-Infektionen nach Blutprodukten ab, weil ein "Fehlverhalten von Beamten" nicht festgestellt
werden kann. Ist die feststellbare Untätigkeit verantwortlicher Mediziner wie im Fall von Prof. STEINBACH, dem zuständigen Ministerialdirektor im
Bundesgesundheitsministerium, nicht als Fehlverhalten zu erkennen?
Die Katastrophe für 11 mit PPSB-BIOTEST behandelte Patienten hätte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen, wenn die
Überprüfung der Zuverlässigkeit der sogenannten Biotest-Kaltsterilisation 1987 erfolgt wäre. Am 1. Juli 1987 wurde der zuständige
Abteilungsleiter des BGM, Prof. STEINBACH, auf das von PPSB-Gerinnungskonzentraten ausgehende Gefährdungspotential von einem Brancheninsider
hingewiesen. Weder BMG noch BGA sahen nach diesen Hinweisen Handlungsbedarf für Risikoabwehrmaßnahmen bei Blutgerinnungspräparaten
außer Faktor VIII trotz des Hinweises, Faktor-IX-haltige Präparate hätten im nahezu gleichen Ausmaß zu Anti-HIV-Positivität geführt,
und es sei in der klinischen Anwendung zu einer unbekannten Zahl von HIV-Infektionen gekommen.
FAZIT: Spätestens ab Herbst 1983 gab es den begründeten Verdacht, Blut und Blutderivate als Überträger von AIDS-Erkrankungen
einzustufen. Sofort mögliche wirksame Abwehrmaßnahmen wie strenge Indikationsstellung für Blutgerinnungskonzentrate mit
Dosisbeschränkungen, Poolgrößenlimits pro Herstellungscharge und Meldepflichten im Sinne des Seuchengesetzes für ansteckende
Krankheiten für arzneimittelinduzierte Infektionen und ab 1984 Herstellungsvorschriften für die Viruselimination aus Blutprodukten unterblieben und wurden
bis heute nicht eingeführt. Vor der Entdeckung von AIDS starb jeder zweite Bluter an den Folgen einer behandlungsbedingten Hepatitis. Ab 1981 standen
hitzeinaktivierte, relativ hepatitissichere Gerinnungsfaktorenkonzentrate zur Verfügung. Diese hätten wahrscheinlich auch die AIDS-Infektionen verhindert.
Darüber hinaus hätte Anfang der achtziger Jahre ein Importverbot für Blutprodukte genügt, um Bluter vor einer Infektion zu schützen,
deren tödliche Folgen schon bekannt waren.
1 | SEEHOFER, H.: "Zur HIV-Infektionsgefährdung durch Blutprodukte" vom 30. Nov. 1992 |
2 | DEINHARDT, F., M. EIBL: 1. Rundtischgespräch über AIDS am 18. Juni 1983 in Frankfurt/M. |
ZEITTAFEL ...Aids und HIV-Infektionen
1982
16. Juli 1982: Die US-amerikanische Seuchenbehörde CDC in Atlanta/USA berichtet über die ersten 3 Pneumocystis-carinii-Pneumonien
eine AIDS-definierende Erkrankung bei Blutern im wöchentlich erscheinenden, in allen Ländern der Welt stark verbreiteten Berichtsheft
MMWR "Morbidity Mortality Weekly Report".
Im Dezember 1982 erscheint im MMWR ein Update über 8 AIDS-Fälle bei Blutern.
1983
18. Februar 1983: Im Deutschen Ärzteblatt berichtet das Bundesgesundheitsamt (BGA) über die auch in Deutschland neu aufgetretene
Infektionskrankheit AIDS, führt die AIDS-definierenden Erkrankungen (u.a. progressive multifokale Leukenzephalopathie PML) auf und weist daraufhin,
daß Empfänger von Faktor-VIII-Konzentraten besonders betroffen sind.
4. April 1983: Im "Bundesgesundheitsblatt" erscheint unter Seuchenhygiene der Artikel: "Erworbene Immundefekte, eine neue
Infektionskrankheit AIDS", in dem ausführlich die einzig möglich erscheinende infektiöse Ursache abgeleitet wird.
30. April 1983: Der Habilitand Dr. RIES von der Universitäts-Nervenklinik Bonn berichtet dem BGA über einen Bluter, der im April 1982 an
autoptisch gesicherter progressiver multifokaler Leukenzephalopathie, einer AIDS definierenden opportunistischen Infektion, gestorben war, und weist darauf hin,
daß wegen der zahlreichen Hämophilie-Patienten an den Bonner Universitäts-Kliniken mit ähnlichen Fällen zu rechnen ist.
Der Kontakt zum BGA bricht ab, weil sein Chef verbietet, der Behörde weitere Informationen zu geben. Bei dem Verstorbenen handelt es sich um einen
Patienten des Bonner Hämophiliespezialisten Dr. BRACKMANN.
Im Bericht des Bundesgesundheitsministeriums an den Bundestag vom 30. Nov. 1992 wird hingegen behauptet, "erstmals im Dezember 1983 ist ... dem BGA
eine AIDS-Erkrankung bei einem Hämophiliepatienten in der Bundesrepublik Deutschland bekannt geworden."
18. Juni 1983: Erstes Rundtischgespräch über AIDS bei Hämophilen in Frankfurt/Main. Prof. MONTAGNIER (Paris) berichtet dabei
über das von ihm entdeckte Retrovirus "LAV" und führt aus, warum er dieses Virus für den Erreger von AIDS hält (u.a. sind Prof.
EGLI und Dr. BRACKMANN von der Hämophilieambulanz der Universität Bonn anwesend).
In dem 1984 veröffentlichten Berichtsband über das Rundtischgespräch bedauert Frau Prof. M. EIBL (Gattin des Besitzers der Fa. Immuno und
Sponsor der Veranstaltung), daß der Bonner Fall in Lancet vom 10. Dez. (2 [1983], 1370) als AIDS-Fall bezeichnet wird. Vielmehr sei der Patient an chronischer
Hepatitis (durch Übertragung mit Hepatitis-B-Viren verunreinigter Faktor-VIII-Konzentrate) und einem möglichen Alkoholkonsum gestorben.
Der Virologe Prof. DEINHARDT behauptet, dieser Patient sei "erroneously" vom BGA als erster deutscher AIDS-Fall bei einem Bluter im oben genannten
Lancet-Artikel aufgeführt worden. EIBL und DEINHARDT argumentieren: Da in Deutschland fast ausschließlich Faktorkonzentrate aus USA-Plasma in
wesentlich höheren Dosierungen als international üblich gegeben werden (über 10fach), es aber noch keinen AIDS-Fall gibt, können diese
Präparate nicht mit AIDS-Fällen in Zusammenhang gebracht werden.
23. Juni 1983: Leser des a-t 6 (1983), 59 werden gewarnt: Es bestehe die Gefahr, "daß durch den Import von Faktor-VIII-Präparaten aus
den USA das dort häufigere, jetzt viel diskutierte AIDS-Syndrom in die Bundesrepublik" gelangt.
6. Sept. 1983: Das BGA erklärt: "Nationale Unabhängigkeit im Hinblick auf Blutprodukte ist anzustreben."
14. Nov. 1983: Das BGA führt im Rahmen der Stufe 2 des gesetzlich vorgeschriebenen Stufenplans zur Abwehr von Arzneimittelrisiken eine
Sondersitzung über Faktor VIII und AIDS durch. Ergebnis: Es besteht begründeter Verdacht, daß die Erreger der AIDS-Seuche durch
Gerinnungskonzentrate übertragen werden.
15. Nov. 1983: Das Bundesamt für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) gibt die Charge 011 des Impfstoffes HEVAC B nicht frei, weil das
Ausgangsmaterial außereuropäisches Plasma enthält und Zweifel am Virusinaktivierungsverfahren bestehen. In einem sich hieran
anschließenden Verwaltungsrechtsstreit wird dem Paul-Ehrlich-Institut vom Gericht eine entsprechende Auflagenbefugnis zuerkannt.
1984
Mai 1984: GALLO publiziert in Science die Entdeckung von HTLVIII als AIDS-Erreger und beschreibt einen Antikörpertest. Dieser und
entsprechende Bestätigungstests werden in den folgenden Monaten auch von mehreren deutschen Labors aufgebaut. Damit werden in wenigen Wochen
Tausende von Tests auch an Hunderten von Bluterseren durchgeführt.
13. Okt. 1984: Die "National Hemophilia Foundation" in den USA empfiehlt die ausschließliche Verwendung hitzebehandelter
Plasmagerinnungspräparate.
26. Okt. 1984: Im MMWR erscheint erneut ein Update über AIDS bei Blutern. Es wird über die Ergebnisse von Untersuchungen der Firma Cutter
(führender Konzentrathersteller in den USA) zur erfolgreichen Inaktivierung von zugesetzten infektiösen HTLVIII in lyophilisierten Ampullen von Faktor-
VIII-Konzentraten durch Wärmebehandlung berichtet. Mit diesem Verfahren könnten also in wenigen Wochen durch eine relativ einfache
Wärmebehandlung bereits in Ampullen befindliche Faktor-VIII-Konzentrate nachträglich virussicher gemacht werden.
26. Okt. 1984: 2. Rundtischgespräch von deutschen Hämophilie-Ärzten. Wichtigste Ergebnisse nach Diskussionen:
- WERNET (Koautor: BRACKMANN) berichtet über (bereits im August 1984 durchgeführte und auf einem internationalen Meeting vorgetragene)
Untersuchungen über HTLVIII-Antikörper im Blut von 164 Faktor-VIII-Konzentratempfängern. 29 dieser Bluter hatten 3 Jahre lang ausschließlich
hitzebehandelte Konzentrate bekommen.
Von den 135 mit konventionell hergestellten Präparaten behandelten Blutern waren 81 (60%) positiv, von den 29 ausschließlich mit virusinaktivierten Konzentraten behandelten Blutern war keiner positiv. - In konventionell hergestellten Faktorkonzentraten wurden keine Antikörper gegen HTLVIII gefunden.
- DEINHARDT wies darauf hin, daß bei dieser Patientengruppe der Befund HTLVIII-Antikörper positiv nur bedeuten kann, daß der Untersuchte Virusträger ist, weil sich die Virusantigene im Körper des Infizierten durch Virusvermehrung gebildet haben müssen, um die Antikörperproduktion auszulösen.
- Die Professoren LANDBECK und SCHRAMM nehmen nach den bei diesem Rundgespräch gehaltenen Vorträgen zur Frage Stellung: Muß man bei diesem Erkenntnisstand nicht allen Blutern ab sofort nur noch virusinaktivierte Faktorkonzentrate geben? (Verantwortliches ärztliches Handeln kann bei diesem Erkenntnisstand nur bedeuten, daß ab sofort keine Bluter mehr mit üblichen, ohne Virusinaktivierung hergestellten Präparaten behandelt werden sollten. Eine Umstellung der Therapie auf virussichere Konzentrate sollte umgehend erfolgen.)
12. Dez. 1984: Im Bescheid zu den Widersprüchen pharmazeutischer Unternehmer behält sich das BGA vor, "zu einem späteren Zeitpunkt die Durchführung bestimmter Inaktivierungsverfahren vorzuschreiben".
1985
1. März 1985: In den USA wird ein kommerzieller Antikörpertest für die Erkennung HIV-positiver Spender behördlich zugelassen,
der sofort auch flächendeckend in der Bundesrepublik verfügbar ist und im Saarland unverzüglich im Blutspendewesen Anwendung findet. Trotz der
Gefahrenlage gewährt das BGA den pharmazeutischen Unternehmen eine lange Frist bis zum 1. Okt. 1985 für Kontrollen der Plasmaspender mit Hilfe des
Antikörpertests.
1. Okt. 1985: Nur auf HIV getestete Faktor-VIII-Präparate dürfen in der Bundesrepublik in Verkehr gebracht werden. Ein Chargenrückruf
für aus ungetestetem Material hergestellte Pharmaprodukte wird von den Behörden jedoch nicht veranlaßt. Die Hersteller nutzen dies, um noch
vorhandene ungetestete Handelsware abzuverkaufen.
1986
4. Jan. 1986: Im Fernsehen des WDR 3 stellt Prof. EGLI, Hämophilieambulanz der Universitätsklinik Bonn-Venusberg, fest: "... Die
Blutpräparate, die die Hämophilen benötigen, können einer Hitzebehandlung unterworfen werden, und von dieser Hitzebehandlung wissen wir,
daß dieses hochempfindliche AIDS-Retrovirus diese Hitzebehandlung nicht toleriert und dadurch abstirbt ... Das wird mit allen Präparaten gemacht, die
Bluterkranke bekommen." (An diese als Stand der medizinischen Erkenntnis einzustufende Äußerung des Klinikchefs EGLI hat sich die Klinik
selbst nicht gehalten. In der Bonner Universitätsklinik wurden weiterhin im großen Umfang "kaltsterilisierte" PPSB-Biotest-Präparate
verordnet. Mindestens vier Patienten der Klinik haben sich mit dem Biotest-Plasmapräparat 1990 infiziert.)
9. Okt. 1986: Die Universitätsklinik Frankfurt meldet an das BGA die HIV-Infektion einer 59jährigen Patientin nach Behandlung mit Faktor-IX-
Konzentrate-Komplex. (Angeblich konnte das BGA den Fall keinem bestimmten Hersteller zuordnen, obwohl es sich um PPSB-"BEHRING" handelte)
. Wenige Wochen später berichtet die Klinik an das BGA zwei weitere HIV-Infektionen bei Frauen nach PPSB-"BEHRING".
13. Okt. 1986: Das BGA begehrt von den pharmazeutischen Unternehmen Auskunft u.a. über die angewendeten Inaktivierungsverfahren für
Faktor VIII, nachdem in Einzelfällen Serokonversionen bei zuvor HIV-negativen Patienten nach Umstellung auf hitzeinaktivierte Präparate aus US-Plasma
berichtet worden sind (z.B. in Lancet vom 5. April 1986 [1 [1986], 803]). Einem Trockenerhitzungsverfahren unterzogene Plasmapräparate übertragen bei
80% aller Patienten Hepatitis-Viren!
1. Dez. 1986: Die Tageszeitung "Die Welt" übernimmt eine dpa-Meldung aus Bonn unter der Überschrift "Keine Gefahr für
Bluter". Anfang 1985 habe das Bundesgesundheitsamt für die in der Bundesrepublik vertriebenen Arzneimittel Herstellverfahren angeordnet, mit denen die
Übertragung von AIDS durch diese Präparate ausgeschlossen werde... Die Gefahr für die Übertragung von AIDS-Viren sei bis vor anderthalb
Jahren möglich gewesen, jetzt aber gebannt. (Diese irreführende Nachricht übernimmt "Der Spiegel" und behauptet, seit dem 1. Okt.
1985 dürften nur noch AIDS-sichere [= "inaktivierte"] Gerinnungsfaktorenkonzentrate in den Handel gebracht werden z.B. in Heft 47/91.)
1987
27. Mai 1987: Das BGA teilt den pharmazeutischen Unternehmern die Einstellung des Stufenplanes zu Faktor-VIII-haltigen Arzneimitteln mit. Es sei
"nicht erkennbar", daß Unterschiede in der Virusinaktivierung "zwischen den einzelnen Verfahren" zur Keimfreimachung "bestehen
...". "Keine Notwendigkeit für Maßnahmen zur Risikoabwehr."
1. Juli 1987: Die Immuno-Geschäftsleitung schreibt an das Bundesministerium für Gesundheit:
"Sehr geehrter Herr Prof. STEINBACH, ... liegt eine Kopie des Schreibens vom BGA vom 27. Mai d.J. bei, in dem die Einstellung des im Herbst letzten Jahres eingeleiteten Stufenplanverfahrens für Faktor-VIII-haltige Arzneimittel bekanntgegeben wird... Die Begründung, daß nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht erkennbar ist, ob in Bezug auf die Wirksamkeit der Virusinaktivierung zwischen einzelnen Verfahren Unterschiede bestehen, hat in den Fachkreisen ungläubiges Kopfschütteln ausgelöst ... Faktor-IX-haltige Präparate haben bei Hämophilie-B-Patienten in nahezu gleichem Ausmaß wie Faktor-VIII- haltige Arzneimittel bei Hämophilie-A- und WILLEBRAND-Patienten zur Anti-HIV-Positivität geführt. Darüber hinaus dürfte es durch Faktor- IX-haltige PPSB-Präparate auch in den sonstigen klinischen Anwendungen (z.B. MARCUMAR-Blutungen) zu einer unbekannten Zahl von HIV-Infektionen gekommen sein."
28. Juli 1987: In einer internen Stufenplansitzung des BGA kommt es zu einem Kompetenzstreit über die Zuständigkeit der einzelnen BGA-
Institute für HIV-Infektionen bei Blutprodukten. Das Robert-Koch-Institut des BGA schlägt Alarm, weil noch immer Abwehrmaßnahmen für
Faktor-IX-PPSB-Präparate ausstehen.
12. Aug. 1987: Das BGA leitet erstmals ein Stufenplanverfahren der Stufe 1 für Blutgerinnungspräparate außer Faktor VIII ein, um
von den Herstellern Auskünfte über die angewandten Virusinaktivierungsverfahren zu erlangen. "Seit Einführung des HIV-Antikörpertests
anläßlich jeder Blutspende ... wird eine Übertragung durch Blut bzw. Blutprodukte als praktisch ausgeschlossen betrachtet."
1990
1. April 1990: Die Charge 1601089 des angeblich virussicheren kaltsterilisierten PPSB "BIOTEST"-Gerinnungskonzentrates kommt außer
Handel, weil Empfänger des Produktes HIV-infiziert worden sind. (Bis November 1992 werden 11 HIV-Infektionen und mindestens 2 Hepatitis-C-Infektionen
erfaßt.)
17. Juli 1990: In einer Stufenplan-Routinesitzung des BGA lehnt Dr. Gottfried KREUTZ der für Arzneimittelsicherheit zuständige BGA-
Abteilungsleiter Maßnahmen zur Gewährleistung der Chargenrückverfolgung bei Blutprodukten bis zum Patienten ab (Dokumentation der
Charge des verabreichten Präparates in der Patienten-Krankengeschichte durch Abrißetiketten auf der Packung).
1991
23. Aug. 1991: Wir berichten im arznei-telegramm 8 (1991), 71, daß das Biotest-Inaktivierungsverfahren mittels "Kaltsterilisation" bei mit
HIV hochbelastetem Ausgangsmaterial versagt, daß Plasmaspender für das Biotest-Präparat nachträglich als Träger des HI-Virus erkannt
worden sind und daß eine Überprüfung des Biotest-Verfahrens zur Keimfreimachung durch das Paul-Ehrlich-Institut ein Überleben von HI-Viren
im Plasma trotz Kaltsterilisation zeigt. (Die Untersuchung bleibt auf Druck des Herstellers unveröffentlicht.)
12. Dez. 1991: In der Fragestunde des Bundestages bezieht die Bundesregierung zu der Frage Stellung, ob es durch während der diagnostischen
Lücke gespendetes Blut zu HIV-Infektionen gekommen ist. Dem BGA sind zwei Fälle in diesem Bereich bekannt. (Hier räumen die
Aufsichtsbehörden erstmals die Lückenhaftigkeit der amtlichen HIV-Risiko-Abwehrmaßnahmen ein.)
1992
23. März 1992: In der Bundestagsdrucksache 12/2323 erhält das Parlament von der Bundesregierung irreführende Auskünfte. Auf
die Frage des Abgeordneten H. SCHMIDBAUER, ob die Unterlassung von Abwehrmaßnahmen durch das BGA nicht verhindert habe, daß das Restrisiko
einer Virusinfektion auf das "unvermeidliche" Ausmaß reduziert wurde, antwortet die Regierung, daß sie diese Auffassung nicht teile. "Die
Durchführung von Virusinaktivierung/-eliminierung, deren Effektivität belegt sein muß", seien "ergänzende Maßnahmen"
zum Ausschluß einer HIV-Übertragung auf Empfänger von Blutprodukten.
3. Nov. 1992: In einer Pressekonferenz im Bonner Bundeshaus wird ein Patient vorgestellt, der sich eine HIV-Infektion durch ein prophylaktisch gegebenes
PPSB-Konzentrat der Firma Immuno zugezogen hat. Den Verantwortlichen in den Gesundheitsbehörden wird Untätigkeit bei der Absicherung von
Arzneimitteln aus Blutbestandteilen vorgeworfen.
11. Nov. 1992: Bundesminister SEEHOFER kündigt einen Ergänzungsbericht an das Parlament zur HIV-Infektionsgefährdung durch
Blutprodukte an. Er sieht keinen Anlaß für personelle Konsequenzen gegenüber Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes oder des
Ministeriums.
20. Nov. 1992: Auf einer Veranstaltung der Universität Bremen erläutert ein mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
vertrauter Richter, welche Blutprodukte im Sinne § 5, Abs. 2 AMG "bedenklich" erscheinen. Es sind dies Blutgerinnungspräparate, die nicht den
neuesten Erkenntnissen über die Keimfreimachung entsprechen und deren Ausgangsmaterial unvertretbare Risiken beinhaltet. Hierzu gehören
Blutspenden aus dem außereuropäischen Ausland und Produkte, die aus dem Blut bezahlter Spender stammen, wenn zum Zeitpunkt des
Inverkehrbringens andere Versorgungsquellen zur Verfügung stehen. Die Produktbeachtungspflicht gebietet dann, andere Bezugsquellen zu erschließen:
"Die Erkennbarkeit des konkreten Krankheitserregers ist nicht die Voraussetzung für die Verkehrssicherung."
FRAGEN, DIE DAS BGA NICHT BEANTWORTET
|
aus arznei-telegramm 3 (1993), 28:
Immuno-Gerinnungskonzentrate überproportional häufig Ursache von HIV-Infektionen Hämophiler: Nach einer Umfrage in den
schweizerischen Hämophilie-Behandlungszentren vom Dezember 1991 sind von 300 getesteten Schweizer Hämophilie-Patienten 67 HIV-infiziert (22%).
Davon sind bereits 17 an der Krankheit verstorben. Nach Feststellung der Ärztlichen Kommission der Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft vom 15.
Jan. 1993 soll "ungefähr die Hälfte der bis 1991 erfaßten 67 HIV-infizierten Hämophilen in der Schweiz zur kritischen Zeit mit Immuno-
Präparaten behandelt worden" sein, "obwohl der Marktanteil von Immuno an Gerinnungspräparaten für die Hämophilen weniger als
20% betrug". Durch den Import von Gerinnungspräparaten, die vorwiegend aus Plasma amerikanischer Herkunft hergestellt wurden, habe sich in der
Schweiz bei einem geringen Marktanteil die Zahl HIV-positiver Hämophiler annähernd verdoppelt (A. HÄSSIG, pers. Mitteilung vom 23. Febr.
1993).
aus arznei-telegramm 3 (1993), 28:
Offenbarungspflicht der Blutspendedienste nach HIV-Infektionen: Namen von Blutspendern unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht, wenn es
um das Aufspüren der Spender möglicherweise HIV-kontaminierter Blutkonserven geht, die im Rahmen der Heilbehandlung von Unfallfolgen gegeben
wurden. In einem unanfechtbaren Beschluß entschied das Landessozialgericht Niedersachsen, der ärztliche Leiter eines Blutspendedienstes sei nicht zur
Verweigerung der Aussage berechtigt. Er könne sich nicht darauf berufen, daß keine Befreiung von der Schweigepflicht vorliege. Er sei als
Geschäftsführer einer Blutspendedienst GmbH tätig geworden. Somit sei ein zivilrechtliches Leistungsverhältnis zwischen GmbH, Blutspendern
und Empfängern der Blutkonserven berührt. Selbst bei Annahme eines Arzt-Patienten-Verhältnisses seien im Rahmen einer vorzunehmenden
Güterabwägung die Interessen der Hinterbliebenen an sachgerechter Abklärung ihrer Ansprüche nach eingetretener HIV-Infektion höher
zu bewerten als die Anonymität von Blutspendern, deren Blut für Heilbehandlungszwecke verwendet wird (AZ L3S [U] 161/92).
aus arznei-telegramm 4 (1993), 33:
Hepatitis-A-Übertragung durch Blutprodukte europaweiter Bann für Octapharma-Virusinaktivierungsverfahren: Die sogenannte Solvent-
Detergent-Ionenaustauschinaktivierung virusbeladener Blutprodukte versagt offenbar bei nicht Lipoprotein-umhüllten Viren wie dem Hepatitis-A-Virus (HAV).
Das Komitee für Arzneimittelsicherheit der europäischen Gemeinschaft fordert ein europaweites Anwendungsverbot für Faktor-VIII-Präparate,
die nach der Octapharma-Methode hergestellt werden, nachdem aus mehreren europäischen Ländern HAV-Infektionen bekannt wurden (24 Hepatitis-A-
Übertragungen in Irland, 41 in Italien, 13 in Deutschland und 6 in Belgien). Neben der Wiener Produktionseinrichtung stehen zwei weitere Herstellungsstandorte
als Infektionsquelle unter Verdacht. Das Solvent-Detergent- oder HOROWITZ-Verfahren wird zur Virusinaktivierung von Faktor-VIII-, Faktor-IX- und gepoolten
Frischplasmapräparaten verwendet. Lizenznehmer sind Firma Biotest, Deutsches Rotes Kreuz Hagen u.a. Das Bundesgesundheitsamt erwägt derzeit
einen Zulassungsstopp für nach dem Solvent-Detergent-/HOROWITZ-Verfahren hergestellte Blutprodukte (Lancet 341 [1993], 820/ati d a-t 3 [1992], 32 und 9 [1992], 91). Als HAV-sicher gelten derzeit
pasteurisierte Faktor-VIII-Konzentrate wie HAEMATE HS/ BERIATE HS (KREUZ, W. et al.: Lancet 341 [1993], 446).
aus arznei-telegramm 5 (1993), 48:
Wie sicher sind virusabgereicherte Blutprodukte? Sogenannte hüllenlose Viren können das Solvenz-Detergenz-Verfahren (nach HOROWITZ) zur
Virusinaktivierung überleben (vgl. a-t 4 [1993], 33). Beim Mischen von Plasmaspenden kann eine virushaltige
Spende einen ganzen Pool verseuchen. Folglich sind "virusinaktivierte" Plasmen nicht infektionssicher, sondern können je nach Ausgangspool
häufiger hüllenlose Viren enthalten als eine Einzelspende. Die Übertragung von Parvovirus B19 oder Coxsackievirus auf diesem Wege kann
"das Ende aller lebenserhaltenden Maßnahmen bedeuten", wenn beim Empfänger dieses Plasmas eine aplastische Krise bzw. eine Myokarditis
ausgelöst wird. Quarantäneplasma ist frisch gefrorenes Plasma, das erst verwendet wird, wenn der Spender Monate nach der Spende noch frei von
relevanten Infektionserregern ist. In den USA beträgt diese Frist jetzt 6 Monate. Quarantäneplasma verengt das diagnostische Fenster bei Tests auf
Virusinfektionen und verringert das Restrisiko einer Infektionsübertragung. Lipidumhüllte Viren werden durch Quarantäneplasma mit einer geringen
Restwahrscheinlichkeit übertragen, deren Größenordnung der von "virusinaktiviertem" Plasma vergleichbar ist. Die Einzelspende eines
Quarantäneplasmas hat jedoch den Vorteil, daß die Restwahrscheinlichkeit, hüllenlose Viren zu übertragen, bedeutend geringer ist als bei
"virusinaktiviertem" Poolplasma (GÜRTLER, L., W. SCHRAMM: Dtsch. med. Wschr. 118 [1993], 520). Das Bundesgesundheitsamt beabsichtigt,
das Ruhen der Zulassung für Blutprodukte anzuordnen, die unter Verwendung des Solvenz-Detergenz-Verfahrens hergestellt werden und bei denen nicht
ausreichend belegt ist, daß das Herstellungsverfahren nicht-umhüllte Viren genügend inaktiviert bzw. eliminiert (Pharm. Ztg. 138 [1993],
1127).
aus arznei-telegramm 9 (1993), 86
FRISCHPLASMA (FFP): SICHERHEIT DURCH QUARANTÄNE
UND ANWENDUNGSBEGRENZUNG
Ein kommerzielles Plasmaphereselabor die Firma UB Plasma in Koblenz informierte Anfang August 1993 die Landesbehörde sowie zehn
Kliniken und industrielle Abnehmer über die mögliche HIV-Infizierung einiger Chargen von gefrorenem Frischplasma (FFP), die Ende Februar bzw. Anfang
April 1993 hergestellt wurden. Der Elisa-Test ergab viereinhalb Monate später beim Dauerspender einen positiven Befund. Kontrollen im RODENWALDT-Institut
der Bundeswehr und im AIDS-Referenzzentrum des Bundesgesundheitsamtes (BGA) sollen das Ergebnis nicht bestätigt haben (Westernblot bzw. Elisa
negativ).
Der Vorfall beweist, daß das bisherige Look-back-Verfahren zu spät greift, da die beanstandeten Blutprodukte dann oft schon verbraucht sind. Nicht alle
Plasma- und Blutzellbestandteile lassen sich mit thermischen oder chemischen Methoden infektionssicher machen. 1989/90 wurden elf Personen durch vorgeblich
kaltsterilisierte PPSB-Präparate der Firma Biotest mit HIV infiziert. Standardisierte validierte Verfahren zur Virusabreicherung sind in der Bundesrepublik bisher
nicht behördlich vorgeschrieben. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist die Bundesrepublik das einzige Land, in dem die private Industrie noch
eigene Blut-/Plasmasammelstellen unterhalten darf.1 Gegen die Sorgfaltspflicht bei der Spenderauswahl wird verstoßen. Bis vor kurzem wurde einem
Heroinabhängigen in einer Plasmaphereseeinrichtung der Immuno GmbH dreißigmal Plasma gegen Entgelt abgenommen, obwohl Einstichstellen in der
Ellenbeuge, eine erhebliche Leukozytose und die beschleunigte BKS sowie ein chronisches Unterschenkelekzem i.v.-Drogenabusus und Spenderuntauglichkeit
erkennen ließen. Immuno gewinnt in Hamburg u.a. Ausgangsmaterial für den FSME-Passivimpfstoff FSME-BULIN von "ärztlich
kontrollierten" Spendern unmittelbar am Hamburger Hauptbahnhof, einem Szenetreffpunkt.
Nachdem ein HIV-infizierter Bluter einen Musterprozeß gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Landgericht Aachen wegen Staatshaftung für
verseuchte Faktor-VIII-Gerinnungskonzentrate angestrengt hat und eine Anhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages am 3. Febr. 1993 auch jetzt
noch grobe Defizite bei der Überwachung des Blutspendewesens in Deutschland aufzeigt, plant das BGA,2 für Zubereitungen aus Blut/ Plasma
eine Quarantänelagerung von sechs Monaten vorzuschreiben. Die Anordnung soll für gefrorenes Frischplasma und für tieftemperaturkonservierte
zelluläre Blutbestandteile gelten, die nicht mit vom BGA anerkannten Methoden der Virusinaktivierung oder -eliminierung behandelt wurden. Damit will die
Überwachungsbehörde die "diagnostische Lücke" als Risikoquelle ausschalten, die immer noch vorhanden ist, weil Antikörper als
Infektionsmarker einer HIV-Infizierung des Blut-/Plasmaspenders in der Regel erst vier Wochen bis drei Monate nach der Infektion erscheinen in seltenen
Fällen auch später und die HIV-Testung ein falschnegatives Ergebnis liefern kann. Zelluläre Blutbestandteile, die als Einzelspende direkt
verwendet werden, bleiben von der Regelung unberührt.
Durch Zweittestung von Spendern nach einem halben Jahr soll gefrorenes Frischplasma infizierter Einzelspenden ausgesondert werden, die beim bisherigen
Spenderscreening unentdeckt bleiben. Erst wenn die dem Spender erneut entnommene Blut-/Plasmaprobe frei von Infektionsmarkern auf HIV und Hepatitis ist,
darf die in Quarantäne gelagerte Blutzell- bzw. Plasmakonserve zur Verwendung kommen. Die Ausbeute, z.B. an Gerinnungsfaktoren, bleibt bei längerem
Einfrieren des Rohplasmas erhalten.
BLUT/PLASMA:
Auf jeder Stufe müssen die Parameter der Absicherung vollständig eingehalten sein, um die Infektiosität der Blutprodukte auf das sogenannte unvermeidliche Restrisiko zu minimieren. Es gilt 25 Abs. 2,2 AMG (Prüfung nach Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis). |
Auch eine Begrenzung der Anwendungsgebiete dämmt die Risiken von Blut- und Plasmaprodukten ein. Frischplasma wird zwar häufig eingesetzt,
doch gibt es nur wenige gesicherte Anwendungsbereiche. Stehen keine spezifischen oder kombinierten Faktorkonzentrate zur Verfügung, kann FFP
Gerinnungsfaktormangel ausgleichen und beispielsweise zur Behandlung bedrohlich blutender, oral antikoagulierter Patienten verwendet werden. Auch Blutungen,
die infolge von Malabsorption von Vitamin K, bei Lyse-Therapie oder bei Neugeborenen auftreten, lassen sich so zum Stillstand bringen. FFP vermag außerdem
angeborene Protein-C- oder Protein-S-Defizite und verschiedene erworbene Immunmangelzustände zu kompensieren, sofern spezifische Konzentrate nicht zur
Verfügung stehen.3 Hochdosiert dient FFP ferner zur Behandlung der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura in Verbindung mit
Plasmaaustausch.
Im allgemeinen werden mindestens 800 bis 1.200 ml benötigt, die zweimal über ein bis zwei Stunden infundiert werden. Mit den oft verwendeten geringen
Mengen um 400 ml steigen bei Erwachsenen die Gerinnungsfaktoren nicht relevant an. Abgesehen von unnötigen Kosten* bergen auch geringe Mengen FFP
alle Risiken des Blutproduktes. FFP kann neben AIDS auch Hepatitis B und C und andere Viruserkrankungen übertragen (vgl. a-t 9 [1992], 91, 4 [1993], 33, 5
[1993], 48). Plasma aus Einzelspenden, das zusätzlich virusabgereichert ist, verringert das Risiko einer Virusübertragung gegenüber Poolplasma
erheblich (vgl. a-t 9 [1992], 91). Nicht AB0-kompatibles FFP kann Antikörper enthalten, die
Empfängererythrozyten hämolysieren. FFP enthält Spenderleukozyten. Bildet der Empfänger gegen diese Abwehrstoffe, bilden sie in
Lungengefäßen Aggregate und verursachen ein akutes pulmonales Krankheitsbild ("Verschattung" bis Lungenödem). Empfänger
reagieren auf FFP bisweilen allergisch oder mit Immunsuppression und sind in Gefahr, mit den Transfusionen zuviel Flüssigkeit zu erhalten.3
* | Klinikeinkaufspreis incl. Mehrwertsteuer für 250 ml Frischplasma aus Einzelspende rund 75-85 DM, bei virusabgereichertem Plasma durch Fotoinaktivierungsverfahren mit Methylenblau rund 105 DM pro 250 ml. |
Als Volumenersatz ist FFP zu risikoreich und ohne Nutzen. Kolloidale Lösungen sind vorzuziehen. Zum Ausgleich angeborener Immunglobulin- Mangelzustände eignen sich intravenös injizierbare Immunglobuline besser. Die Ernährung bei Eiweißverlust mit Frischplasma zu ergänzen, nützt ebensowenig wie eine routinemäßige Verabreichung zusätzlich zu Bluttransfusionen.3
FAZIT: Als "Aufgeregtheit, die ihr Ziel verfehlt" bezeichnete jüngst eine Tageszeitung4 die vom Bundesgesundheitsamt geplante Quarantäne für das Ausgangsmaterial nicht virusabgereicherter Blutprodukte. "Unkoordinierte Hektik" würde die Blutspendedienste "vor unlösbare Aufgaben" stellen. Die angeblich "undurchführbaren Maßnahmen" werden u.W. seit Jahren u.a. vom Bayerischen Roten Kreuz praktiziert, entsprechen dem Stand der medizinischen Erkenntnis und dienen der Minimierung des sogenannten Restrisikos von Blutprodukten, wie sie die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert.
Durch Beschränkung des Gebrauchs von FFP auf die gesicherten Anwendungsgebiete, Ausdehnung der geplanten Anordnung auf das Ausgangsmaterial sämtlicher kommerzieller Blut- und Plasmaprodukte und Verbot der Einfuhr ausländischen Ausgangsmaterials läßt sich u.E. das Risiko von Blutprodukten effektiv mindern.
1 | BÜCHNER, K.: Pharm. Ind. 55 (1993), 550 |
2 | BAnz. vom 21. Aug. 1993, S. 7870 |
3 | COHEN, H.: Brit. Med. J. 307 (1993), 395 |
4 | WESTHOFF, J.: Tagesspiegel vom 25. Aug. 1993 |
aus arznei-telegramm 9 (1993), 92:
Doch Entschädigung für HIV-infizierte Bluter? Die Hämophilieverbände sollen "zu gegebener Zeit" ins Bonner
Gesundheitsministerium eingeladen werden. Für 500 schwerstbetroffene, an AIDS erkrankte Empfänger von Blutgerinnungskonzentraten ist eine
monatliche Rente von 1.500 DM bis ans Lebensende von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter Federführung des Bonner
Gesundheitsministeriums vorgesehen. Nach einem Finanzierungsmodell des Ministeriums verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, für jährlich 10
Millionen DM aufzukommen, wobei jeweils 40% des Betrages von Pharmaindustrie und Versicherungspool zu leisten wären, während die restlichen 20%
von "sonstigen" Gesellschaftern erbracht werden können. Damit will das SEEHOFER-Ministerium der "Unruhe" begegnen, die durch
"Publikationen" über die Mitverantwortung der Gesundheitsbehörden an der HIV-Infizierungswelle Hämophiler entstanden sei. Gemeint
sein könnte unter anderem die Dokumentation im arznei-telegramm 12 (1992), 127 über das Versagen der Arzneimittelaufsicht in Deutschland,
Red.
© 1993 arznei-telegramm