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Therapiekritik

ACAMPROSAT (CAMPRAL) - HILFE FÜR ALKOHOLABHÄNGIGE?

Seit seiner Markteinführung im März 1996 wird das zur Abstinenzerhaltung Alkoholabhängiger angebotene Acamprosat (CAMPRAL) auf gesponserten Veranstaltungen in großem Stil beworben, wobei offenbar auch gezielt alkoholkranke Patienten angesprochen werden.

Typische Zeichen der Alkohol-Abstinenz wie Schweißausbrüche, Zittern, Nervosität, Angstzustände sowie das eigentümliche Alkoholverlangen ("craving") werden auf ein Ungleichgewicht zugunsten erregender Botenstoffe zurückgeführt. Das chemisch mit GABA und Glutamat verwandte Acamprosat soll über einen unbekannten Mechanismus im Zentralnervensystem die Balance hemmender und erregender Transmittersysteme wiederherstellen.

Seit unserer Kurzbeurteilung in a-t 11 (1995), 110 gibt es neue Untersuchungsergebnisse: In einer Doppelblindstudie aus Österreich nehmen je 224 chronisch oder episodenhaft Alkoholkranke Plazebo oder 1,33 g bzw. 2 g Acamprosat bei Körpergewicht über 60 kg.1 Nach zwölf Monaten beurteilen sich unter Acamprosat mehr als doppelt so viele Patienten als durchgehend enthaltsam wie unter Scheinmedikament. Bei genauer Betrachtung stellen sich die Erfolgsraten ernüchternd dar: Unter Verum sind am Studienende noch 18% der Patienten kontinuierlich abstinent, unter Plazebo 7%. Nach einem Jahr profitiert also nur noch jeder neunte (11%). In beiden Gruppen beenden 60% die Studie vorzeitig, am häufigsten wegen Rückfällen (je 23%).

In einer kürzlich veröffentlichten deutschen Multizenterstudie (PRAMA-Studie) mit 272 Patienten liegt die kontinuierliche Abstinenzrate unter Acamprosat nach 48 Wochen wiederum doppelt so hoch wie unter Scheinmedikament (45% vs. 25%).2 Die Darstellung der Ergebnisse ist jedoch irreführend: Unter Berücksichtigung der Abbruchraten (42% bzw. 60%) enthalten sich nach 48 Wochen noch 27% der anfänglich mit Acamprosat Behandelten dauerhaft dem Alkohol gegenüber 11% unter Plazebo. Es profitiert also nur jeder sechste (16%). Ein über die Behandlungsdauer anhaltender Nutzen lässt sich überhaupt nur in dieser Studie nachweisen.

In der von uns vor gut einem Jahr ausgewerteten Untersuchung mit 538 Patienten3 leben nach einjähriger Einnahme von Acamprosat nicht wesentlich mehr Alkoholkranke durchgehend abstinent als unter Scheinmedikament (19% vs. 11%).

An Störwirkungen ist hauptsächlich mit Impotenz, Magen-Darmbeschwerden und Hautreaktionen zu rechnen. Der häufige Durchfall (bis 20%) lässt Zweifel an der Gewährleistung einer doppelten Blindung in den Studien aufkommen. Im NETZWERK dokumentieren wir einen plötzlichen Abfall des Quickwertes auf 3% bei gleichzeitiger Einnahme von Phenprocoumon (MARCUMAR, a-t 10 [1996], 103).

FAZIT: Nach vorangegangener Entzugsbehandlung scheint die Einnahme des monatlich bis zu 200 DM teuren Acamprosat (CAMPRAL) die Aussicht auf kontinuierliche Abstinenz allenfalls geringfügig zu verbessern: In zwei zwölfmonatigen plazebokontrollierten Studien profitiert ein Jahr nach Beginn der Behandlung nur noch einer von sechs bzw. neun Patienten. Eine weitere Untersuchung kann nach dieser Zeit keinen Nutzen mehr nachweisen. "Anonyme Alkoholiker" wenden ein, Acamprosat könne von geeigneteren Lösungsversuchen der Suchtproblematik ablenken.

1

WHITWORTH, A. B. et al.: Lancet 347 (1996), 1438

2

SASS, H. et al.: Arch. Gen. Psychiat. 53 (1996), 673

3

PAILLE, F. M. et al.: Alcohol Alcoholism 30 (1995), 239


© 1997 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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