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Therapiekritik

IMMUNGLOBULINE UND SEPSIS

Sepsis und septischer Schock gehen bis heute mit sehr hoher Sterblichkeit zwischen 21% und 72% einher. Nach einer Metaanalyse der Cochrane Collaboration, in der die Wirksamkeit monoklonaler und polyklonaler intravenöser Immunglobuline (IVIG) anhand von 23 Studien mit insgesamt 6.991 Teilnehmern untersucht wird, soll die adjuvante Behandlung mit polyklonalen IVIG die Gesamtmortalität senken.1

HINTERGRUND: Ein toxischer Stimulus (z.B. bakterielles Endotoxin) induziert bei Makrophagen die Ausschüttung verschiedener Mediatoren, unter anderem der Zytokine Interleukin 1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α). Diese schädigen unter anderem das Gefäßendothel und bewirken eine Flüssigkeitsverschiebung ins Interstitium. Spezifische (monoklonale) Immunglobuline gegen Endotoxine (-Bestandteile) oder Zytokine sollen die Mediatorenkaskade unterbrechen. Alternativ finden aus Humanplasma gewonnene polyklonale Immunglobuline (POLYGLOBIN N u.a.) und IgM-angereicherte Immunglobuline (PENTAGLOBIN) Verwendung.

Monoklonale IVIG beeinflussen die Sterblichkeit nach der Metaanalyse nicht. Ausgewertet werden jeweils sieben Studien mit Anti-Zytokinen (TNF- α-Antikörper und IL 1-Rezeptorantagonist, n = 4.586) und Anti-Endotoxinen (E5, HA-1A, Anti-LPS, n = 1.992).1 Eine neuere Untersuchung mit E5 kommt ebenfalls zu negativem Ergebnis und wird daher vorzeitig gestoppt.2

Polyklonale IVIG sollen dagegen die Gesamtmortalität senken (ARR* = 17%, NNT** = 6, Konfidenzintervall 4 bis 12).1 Auch die Sterblichkeit wegen Sepsis nimmt signifikant ab (ARR = 22%, NNT = 4, Konfidenzintervall 3 bis 10).1

Im Gegensatz zu den großen Studien mit monoklonalen IVIG beruht das statistisch signifikante Ergebnis für polyklonale IVIG (n = 413) jedoch auf der gemeinsamen Auswertung vieler kleiner (maximal 62 Teilnehmer) und zum Teil methodisch angreifbarer Studien. Zurückhaltende Interpretation ist daher angebracht.1,3 Bei differenzierter Betrachtung sind die Ergebnisse eher ernüchternd:

 Bei Neugeborenen mit Sepsis ergibt die Metaanalyse keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtmortalität.1 In keiner der vier kleinen Studien mit insgesamt 191 Patienten lässt sich ein klarer Vorteil für polyklonale IVIG nachweisen. Eine neuere, nicht berücksichtigte Untersuchung aus Indien mit 58 Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht über 1.000 g fällt ebenfalls negativ aus.4 Auch der Nutzen der im Cochrane Review nicht berücksichtigten prophylaktischen Anwendung polyklonaler IVIG bei Frühgeborenen ist nicht belegt: In drei kontrollierten Studien beeinflussen weder einmalige5 noch periodische Infusionen die Sterblichkeit.6,7 Ein positiver Effekt auf die Häufigkeit von Infektionen findet sich nur in einer7 von fünf Studien.5-9

 Erwachsene sollen nach der Metaanalyse von der adjuvanten Therapie mit polyklonalen IVIG profitieren.1 Ausgewertet werden fünf Studien mit insgesamt 222 immunkompetenten Personen, von denen zwei Drittel nach einer Operation an Sepsis erkrankten. Alle Studien haben zum Teil beträchtliche methodische Mängel wie fehlende Verblindung oder deutlich unterschiedliche Ausgangscharakteristika zu Gunsten der Interventionsgruppe. In der größeren der beiden Untersuchungen mit signifikantem Vorteil für IVIG haben die Patienten der Kontrollgruppe Humanalbumin erhalten,10 welches bei bestimmten Risikopatienten die Sterblichkeit erhöht (a-t 1998; Nr. 8: 76).11 Inwieweit dies das Ergebnis beeinflusst hat, bleibt offen. Die zweite - offene - Studie schließt nur endotoxinpositive Patienten (69 von 860) ein, von denen letztlich nur 55 (80%) ausgewertet werden.12 Ob sich eine Endotoxinämie in der Praxis ausreichend schnell feststellen lässt, ist fraglich.13

Die Ergebnisse der 1993 angelegten SBITS***-Studie, in der POLYGLOBIN wiederum mit Humanalbumin bei 653 internistischen und chirurgischen Patienten mit Sepsis verglichen wird, sind bis heute nur als Zusammenfassung veröffentlicht und daher auch in der Metaanalyse nicht berücksichtigt worden. Eine Reduktion der Gesamtmortalität nach 28 Tagen lässt sich laut einem der Initiatoren auch hier nicht nachweisen.14

 Ob Erwachsene in bestimmten Fällen von einer prophylaktischen Anwendung polyklonaler IVIG profitieren, ist ebenfalls unsicher: In zwei Studien mit Patienten mit fibrinös-eitriger Peritonitis15 bzw. Personen, die sich einem Eingriff mit hohem Infektionsrisiko (z.B. Operation abdomineller Abszesse) unterziehen,16 wird die Sterblichkeit nicht signifikant beeinflusst. Während die Häufigkeit von Pneumonien in zwei Untersuchungen abnimmt,16,17 bleibt die Effektivität hinsichtlich anderer örtlicher und systemischer Infektionen widersprüchlich.16-19

 Auch ein Vorteil von IgM-angereichertem IVIG bleibt fraglich. Der in der Metaanalyse erwähnte bessere Effekt auf die Gesamtsterblichkeit bei Behandlung der Sepsis Erwachsener und Neugeborener gegenüber Standard-IVIG ist gering und auf Grund unterschiedlicher Studienpopulationen nicht beurteilbar. In zwei Studien, in denen die Immunglobulin-Zubereitungen direkt gegeneinander in der neonatologischen Behandlung20 und zur Prophylaxe der Sepsis bei Erwachsenen nach Herzchirurgie21 geprüft werden, lässt sich bei keinem der Endpunkte, einschließlich der Gesamtmortalität, ein signifikanter Unterschied feststellen.

Typische Störwirkungen intravenöser Immunglobuline, vor allem bei zu schneller Infusion, sind Schüttelfrost, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, QUINCKE-Ödem, Nierentoxizität, Myalgien, Brust-, Rücken- und Kopfschmerzen.13,22 Hohe Dosierungen können bei bis zu 11% der Patienten aseptische Meningitis hervorrufen.22 Schwere anaphylaktische Reaktionen werden besonders bei Personen mit IgA-Mangel beobachtet (Inzidenz in Mitteleuropa 1:500 bis 1:1.000).13 Wie bei allen aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten ist die Übertragung von Infektionserregern nicht vollständig auszuschließen.

FAZIT: Monoklonale (spezifische) intravenöse Immunglobuline (IVIG) beeinflussen in mehreren großen Studien die Sterblichkeit bei Sepsis nicht. Ihre Anwendung ist derzeit nicht begründbar.

Für polyklonale IVIG ist die Datenlage nur wenig besser: Früh- und Neugeborene profitieren offenbar weder von der adjuvanten noch von der prophylaktischen Gabe. Für Erwachsene mit Sepsis ergibt die gemeinsame Auswertung mehrerer kleiner und zum Teil methodisch zweifelhafter Studien zwar eine Senkung der Gesamtmortalität. Ob dies aber auch noch gilt, wenn das negative Ergebnis der mit Abstand größten, aber seit Jahren unveröffentlichten Studie in die Auswertung einbezogen würde, ist fraglich.

Auch die prophylaktische Anwendung polyklonaler IVIG lässt sich wegen widersprüchlicher Datenlage allenfalls im Rahmen klinischer Studien rechtfertigen. Für das deutlich teurere IgM-angereicherte PENTAGLOBIN sehen wir keine Vorteile gegenüber Standard-IVIG.



*

ARR = Absolute Risikoreduktion

**

NNT = Number Needed to Treat (s. a-t 1998; Nr. 5: 47-50)

***

SBITS = Score-Based Immunglobulin Therapy of Sepsis

© 2001 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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