Da jetzt mehrere unserer Mammakarzinom-Patientinnen auf Trastuzumab (HERCEPTIN) eingestellt werden, möchten wir Sie um eine
neue Stellungnahme bitten: Ist dieses Medikament immer noch so gefährlich, wie Sie geschrieben haben (a-t 2000;
31: 45-6 und 56; a-t 2001; 32: 76)?
Dr. med. R. SCHMITT (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-76684 Östringen-Odenheim
Interessenkonflikt:Keiner
Die einzige randomisierte Phase-III-Studie mit dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab (HERCEPTIN; vgl. a-t 2000; 31: 45-6) liegt inzwischen vollständig veröffentlicht vor. 469 Frauen mit metastasiertem Brustkrebs und
Überexpression des durch Trastuzumab blockierbaren Wachstumsfaktor-Rezeptors HER2 erhalten als erste Chemotherapie ihrer metastasierten Erkrankung
sechs dreiwöchentliche Zyklen mit Doxorubicin (ADRIBLASTIN u.a.; 60 mg/m2 Körperoberfläche [KOF]) oder Epirubicin (FARMORUBICIN u.a.; 75
mg/m2 KOF) plus Cyclophosphamid (ENDOXAN u.a.; 60 mg/m2 KOF) oder - falls zuvor bereits Anthrazykline verwendet wurden - Paclitaxel (TAXOL; 175 mg/m2
KOF). Diese Chemotherapieregime werden bei der Hälfte der Frauen mit Trastuzumab (initial 4 mg/kg Körpergewicht [KG]) i.v., Erhaltungsdosis bis zur
Krankheitsprogression wöchentlich 2 mg/kg KG) kombiniert.
Das primäre Zielkriterium ist ein unsicherer Surrogatparameter: Die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung. Trastuzumab verlängert diese Zeit um knapp
drei Monate von 4,6 auf 7,4 Monate (p < 0,001). Der entscheidende patientenrelevante Endpunkt, die Überlebenszeit, wird unter den sekundären
Zielkriterien geprüft. In der Gesamtgruppe ergibt sich eine Verlängerung der medianen Überlebenszeit von 20,3 auf 25,1 Monate, in der Subgruppe
der Frauen, die Trastuzumab mit Paclitaxel kombiniert verwenden, von 18,4 auf 22,1 Monate.1 Dieser Effekt, der nur in der Gesamtgruppe grenzwertig
signifikant ist, bedarf der Bestätigung durch Studien, die primär auf die Überlebenszeit angelegt sind. Die Lebensqualität unterscheidet sich
nach Angaben aus dem europäischen Bewertungsbericht nicht.2
Schwerste unerwünschte Wirkung in der Studie ist die Kardiomyopathie, die zur Herzinsuffizienz führen kann.1 Die Kardiotoxizität
wurde in klinischen Studien mit Trastuzumab allerdings nicht prospektiv erfasst. Die verfügbaren Daten beruhen daher alle auf retrospektiver Analyse.2
Danach findet sich eine kardiale Dysfunktion bei 27% der Patientinnen unter Anthrazyklin/Cyclophosphamid plus Trastuzumab im Vergleich zu 8% unter
Anthrazyklinen/Cyclophosphamid allein. Unter Trastuzumab plus Paclitaxel betrifft es 13%, unter Paclitaxel allein 1%, unter Monotherapie mit Trastuzumab 3% bis 7%.
75% der betroffenen Frauen entwickeln eine symptomatische Herzinsuffizienz. Bei einem Teil bessert sich die Symptomatik zwar unter einer Standardtherapie
einschließlich Diuretika und ACE-Hemmer, Therapieresistenz und Todesfälle sind jedoch beschrieben. Von den zehn Frauen, die in Trastuzumab-Studien
aus kardialer Ursache gestorben sind, haben neun das Mittel erhalten.3
Alle Frauen, die mit Trastuzumab behandelt werden, müssen engmaschig kardiologisch überwacht werden. Kombination mit Anthrazyklinen ist
außerhalb kontrollierter Studien kontraindiziert. Anthrazykline sollen wegen der langen Trastuzumab-Halbwertszeit von über vier Wochen möglichst
nicht innerhalb von 24 Wochen nach Absetzen des Mittels verwendet werden (a-t 2001; 32: 76).2
Erst während der Zulassung und nach Markteinführung wurde der potenziell lebensbedrohliche Verlauf der Infusionsreaktionen erkannt. Am
häufigsten sind Schüttelfrost und Fieber. Es können aber auch schwere allergische Reaktionen und pulmonale Komplikationen mit akuter, letaler
Lungeninsuffizienz auftreten (a-t 2000; 31: 56). Beginn und klinischer Verlauf sind sehr variabel. US-amerikanische und
europäische Warnungen unterscheiden sich in ihren zeitlichen Angaben. Laut FDA setzen die Symptome bei der Mehrzahl der Frauen während oder
innerhalb von zwölf Stunden nach Beginn der ersten Infusion ein.4 Selten sind aber auch verzögerte Reaktionen mit Beginn mehr als 24 Stunden
(EMEA: 6 Stunden)2 nach Start der Infusion beschrieben.4 Todesfälle sind innerhalb von Stunden und noch nach bis zu einer Woche nach
Infusion aufgetreten.
Bei ersten Anzeichen einer Reaktion muss die Infusion sofort abgesetzt und die Patientinnen müssen bis zum Abklingen der Beschwerden überwacht
werden. Über mögliche verzögerte Reaktionen auch noch nach mehr als 24 Stunden müssen die Frauen aufgeklärt sein. Bei
Ruhedyspnö etwa auf Grund der fortgeschrittenen Erkrankung darf Trastuzumab wegen erhöhter Komplikationsgefahr nicht verwendet
werden.2
FAZIT: Das Brustkrebsmittel Trastuzumab (HERCEPTIN) hat bei Patientinnen mit metastasierendem Brustkrebs, bei denen der HER-2-Rezeptor
immunhistochemisch auf 3+ überexprimiert ist (etwa 20% bis 30% dieser Frauen), möglicherweise einen geringen lebensverlängernden Nutzen, der
aber bislang nicht definitiv belegt ist. Dem stehen ausgeprägte Kardiotoxizität und lebensbedrohliche Infusionsreaktionen gegenüber. Die Nutzen-
Risiko-Abwägung erscheint deshalb fragwürdig.
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