Die Senkung eines erhöhten Blutdrucks verzögert in kontrollierten Interventionsstudien nachweislich das Fortschreiten einer diabetischen
Nephropathie (a-t 1999; Nr. 11: 117). Nach epidemiologischen Untersuchungen nimmt das Risiko einer
Verschlechterung der Nierenerkrankung mit der Höhe des Blutdrucks auch dann schon zu, wenn die Blutdruckwerte noch im Normbereich liegen. In
internationalen Leitlinien werden für Diabetespatienten mit Nephropathie daher deutlich niedrigere Blutdruckzielwerte als üblich empfohlen, zum Beispiel
unter 140/80 mmHg1 oder unter 130/80 mmHg.2
In einer systematischen Übersicht wird jetzt überprüft, inwieweit ein günstiger Einfluss dieser sehr niedrigen Zielwerte auf die Nierenerkrankung
durch randomisierte kontrollierte Studien belegt ist.3 Die Autoren finden fünf Langzeitstudien mit Nachbeobachtung von mehr als zwei Jahren, an
denen insgesamt 1.203 Diabetespatienten mit Mikroalbuminurie oder manifester Nephropathie teilnehmen.4-8 Die Studien vergleichen die Effekte
unterschiedlich niedriger normotensiver Blutdruckzielwerte, zum Beispiel diastolisch unter 75 mmHg versus 80-89 mmHg,4 oder eine blutdrucksenkende
Therapie normotensiver Patienten mit Nichtbehandlung oder Scheinmedikament.
Daten zum klinischen Endpunkt eines dialysepflichtigen Nierenversagens liegen aus keiner Studie vor. Gemessen am Verlauf der glomerulären Filtrationsrate,
einem als valide geltenden Surrogatparameter, lässt sich in keiner Untersuchung ein günstiger Effekt der niedrigeren Blutdruckzielwerte auf das
Fortschreiten der Nephropathie nachweisen. In der Mehrzahl der Studien geht die straffere Blutdruckeinstellung mit mehr oder weniger deutlich reduzierter
Albuminurie einher. Dies korreliert jedoch hier wie auch in anderen Studien nicht mit dem Verlauf der glomerulären Filtrationsrate. Die durch therapeutische
Intervention reduzierte Eiweißausscheidung im Urin erweist sich daher einmal mehr als unbrauchbarer Surrogatparameter für verzögertes Fortschreiten
einer diabetischen Nephropathie (a-t 2000; 31: 2).3,9
In einer der ausgewerteten Studien, der zweiarmigen ABCD*-Studie, geht die stärkere Blutdrucksenkung bei hypertensiven Diabetespatienten mit geringerer
Gesamtsterblichkeit einher.4 Bei den normotensiven Patienten des anderen Studienarms verzögert die blutdrucksenkende Therapie das Fortschreiten
einer Retinopathie und senkt die Schlaganfallrate.5 Dies weist in die gleiche Richtung wie die Ergebnisse der HOT**-Studie, in der bei Patienten mit
Diabetes mellitus durch Senkung des diastolischen Blutdrucks auf 80 mmHg oder darunter das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen und der
kardiovaskulären Mortalität reduziert werden.10 Ein Mangel dieser Studien ist allerdings, dass keine10 bzw. keine
adäquaten4,5 (unter 140 mmHg) systolischen Blutdruckzielwerte vorgegeben sind. Der systolische Blutdruck bleibt somit bei einem Großteil der
Patienten unterbehandelt, was insbesondere die Gruppen mit lascherer Einstellung betrifft. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die höheren
Komplikationsraten bei diesen Patienten allein durch die schlechtere Senkung des hypertonen systolischen Blutdrucks zu erklären sind.
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ABCD = Appropriate Blood Pressure Control in Diabetes
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HOT = Hypertension Optimal Treatment
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Somit fehlen sichere Hinweise für einen klinischen Vorteil sehr niedriger Blutdruckzielwerte bei Patienten mit Diabetes und Nephropathie. Die oft genug
schwierige, aber durch Studien gut begründete Blutdruckeinstellung auf normotensive Werte (unter 140/90 mmHg) sollte daher nicht durch Zielvorgaben
erschwert werden, deren Einhaltung wenig realistisch, deren Nutzen aber nicht belegt ist.9
Die Senkung eines erhöhten Blutdrucks auf Werte unter 140/90 mmHg
verzögert das Fortschreiten einer diabetischen Nephropathie.
Eine weitere Senkung des Blutdrucks im normotensiven Bereich hat in
randomisierten kontrollierten Studien keinen Einfluss auf das Fortschreiten der Nephropathie.
Überzeugende Hinweise für einen klinischen Nutzen der sehr niedrigen
Blutdruckzielwerte im Hinblick auf mikro- oder makrovaskuläre Komplikationen oder Sterblichkeit finden wir nicht.
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