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                            a-t 2004; 35: 135-6nächster Artikel
Im Blickpunkt

GESCHÄFT MIT DER ANGST -
Pfizers Desinformationskampagne zu SORTIS

"Ab Januar wird gespart. An der Gesundheit von Millionen Herz-Kreislauf-Patienten. Ab 1. Januar wird 1,5 Millionen Kassenpatienten der nachweislich beste Cholesterinsenker nicht mehr voll erstattet... SORTIS senkt Cholesterinwerte am stärksten, reduziert das Risiko am schnellsten und ist auch in höchster Dosierung gut verträglich".1 Mit solchen Schlagzeilen schürt die Firma Pfizer seit Wochen Ängste beim Verbraucher. Inzwischen hat das zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe ein Bußgeldverfahren gegen die Firma eingeleitet, da die Anzeigen in der Tagespresse gegen das Heilmittelwerbegesetz verstoßen. In der Laienpresse darf nicht für verschreibungspflichtige Medikamente geworben werden, insbesondere nicht mit Formulierungen, die beim Verbraucher Ängste auslösen können.2 Pfizer verstößt jedoch mit der jüngsten Anzeigenserie "Können Kassenpatienten wirklich auf SORTIS verzichten?"3 weiterhin gegen das Heilmittelwerbegesetz.

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Vorversionen am 11. Nov. 2004 und 26. Nov. 2004 als blitz-a-t veröffentlicht.

Der Konzern reagiert mit der Kampagne auf den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, Atorvastatin zusammen mit den anderen auf dem Markt verfügbaren CSE-Hemmern Simvastatin (ZOCOR u.a.), Pravastatin (PRAVASIN u.a.), Fluvastatin (CRANOC u.a.) und Lovastatin (MEVINACOR u.a.) in eine gemeinsame Festbetragsgruppe ("Jumbogruppe") aufzunehmen und damit das Kostenniveau dieser hochpreisigen Arzneimittel zu senken. Pfizer will jedoch die Kosten für Atorvastatin (Jahresumsatz weltweit 8 Milliarden €) nicht auf Festbetragshöhe herabsetzen, auch um das international für SORTIS etablierte Preisniveau nicht durch einseitige Preissenkungen in Deutschland zu gefährden. Die Folge für die Patienten sind beträchtliche Zuzahlungen, die ab 2005 fällig werden (z.B. 48,51 € für 100 Tbl. SORTIS zu 40 mg). Auch die Anbieter der Simvastatin- und Pravastatin-Originale müssen die Preise senken, um Zuzahlungen zu umgehen. Für Atorvastatin (Patentablauf 2011) gibt es jedoch noch keine preiswerten Generika.

Willige Schützenhilfe erhält Pfizer von der "Ärzte Zeitung, in der gegen die Entscheidung des Bundesausschusses und eine Stellungnahme des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) polemisiert wird.4 Die Anpreisung von Atorvastatin als "besten Cholesterin-Senker" erweist sich jedoch bei nüchterner Betrachtung der Datenlage als Wunschdenken des Herstellers:

 Für die wichtigste Indikation, die Sekundärprävention kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten mit bekannter chronischer atherosklerotischer Erkrankung, liegen lediglich zwei methodisch fragwürdige Studien vor (ALLIANCE und GREACE)**,5,6 in denen Atorvastatin im Rahmen der Betreuung an einem spezialisierten Zentrum mit einer "üblichen" Behandlung in der Hausarztpraxis verglichen wird. Valide Aussagen zum Nutzen von Atorvastatin lassen sich aus diesen Studien allein nicht ableiten, da sich die Behandlung in den Vergleichsgruppen auch abgesehen von der geprüften Intervention deutlich unterscheidet. Die Datenlage bei der Sekundärprävention ist für 20 mg bis 40 mg Simvastatin (4-S**, HPS**)7,8 und 40 mg Pravastatin (CARE** und LIPID**)9,10 nach wie vor am besten. Beide Statine senken bei diesen Patienten die Rate schwerer koronarer Ereignisse und wirken lebensverlängernd (a-t 2004; 35: 56-60).

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ALLIANCE = Aggressive Lipid-Lowering Initiation Abates New Cardiac Events; GREACE = Greek Atorvastatin and Coronary-heart-disease Evaluation; CARE = Cholesterol And Recurrent Events Trial; LIPID = Long-Term Intervention with Pravastatin in Ischaemic Disease Study; 4-S = Scandinavian Simvastatin Survival Study; HPS = Heart Protection Study

 In der Primärprävention, also bei Patienten ohne manifeste atherosklerotische Erkrankung, liegt zu Atorvastatin mit ASCOT-LLA***11 eine randomisierte kontrollierte Studie vor, an der Patienten mit Hypertonie und mindestens drei weiteren Risikofaktoren teilnehmen. Die Häufigkeit schwerer koronarer Ereignisse wird geringfügig gesenkt, nicht jedoch die Mortalität. Vergleichbare Resultate lassen sich gemäß großer Studien jedoch auch mit Pravastatin (WOSCOP***)12 und Lovastatin (AFCAPS/TexCAPS***)13 erzielen (a-t 2004; 35: 56-60).

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ASCOT-LLA = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial - Lipid Lowering Arm; WOSCOP = West of Scotland Coronary Prevention Study AFCAPS/TexCAPS = Air Force/Texas Coronary Atherosclerosis Prevention Study

 Ähnlich ist die Situation bei Diabetikern ohne bekannte atherosklerotische Erkrankung, aber mit hohem koronaren Risiko. Zwar ist für Atorvastatin in der CARD-Studie****14 ebenso wie für Simvastatin in HPS15 ein Nutzen in dieser Patientengruppe belegt. In ASCOT-LLA profitiert die Subgruppe der Diabetiker, immerhin 25% der Patienten, jedoch nicht von Atorvastatin. Wegen der insgesamt besseren Datenlage erachten wir daher Simvastatin auch in dieser Indikation als Mittel der Wahl (a-t 2004; 35: 93-4).

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CARDS = Collaborative Atorvastatin Diabetes Study

 Zur homozygoten familiären Hypercholesterinämie oder Behandlung von Kindern mit schweren Dyslipidämien liegen für alle Statine nur sehr begrenzte Erfahrungen vor. In der Fachinformation von SORTIS16 wird lediglich auf eine offenbar unveröffentlichte Studie mit 64 an homozygoter familiärer Hypercholesterinämie erkrankten Patienten verwiesen. Die Therapieerfahrung mit Atorvastatin bei Kindern beschränkt sich auf eine kleine Anzahl im Alter zwischen 4 und 17 Jahren.

Einzige Ausnahme stellt unseres Erachtens die zeitlich befristete Therapie des akuten Koronarsyndroms mit täglich 80 mg Atorvastatin dar. Während hier die frühzeitige, hochdosierte Einnahme von Simvastatin gegenüber einer späteren, niedrig dosierten keinen Vorteil bringt (a-t 2004; 35: 94), liegen mit MIRACL*****17 (gegen Plazebo) und PROVE-IT*****18 (gegen 40 mg Pravastatin) in dieser Indikation für hochdosiertes Atorvastatin positive Daten vor. In PROVE-IT profitieren jedoch nur unter 65-jährige Patienten ohne ST-Hebungsinfarkt. Eine Senkung der Mortalität wird in keiner der beiden Studien nachgewiesen. Die gerne als Beleg für die Überlegenheit von Atorvastatin herangezogene PROVE-IT-Studie lässt zudem die Frage unbeantwortet, ob die hohe Dosis oder spezifische Stoffeigenschaften für den zusätzlichen Nutzen verantwortlich sind (a-t 2004; 35: 41-2).

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MIRACL = Myocardial Ischemia Reduction with Aggressive Cholesterol Lowering; PROVE-IT = Pravastatin or Atorvastatin Evaluation and Infection Therapy

Dass Atorvastatin weniger schwere Störwirkungen auslöst, lässt sich für übliche Dosierungen nicht ableiten: Die Auswertung Statin-induzierter Myopathien aus dem Erfassungssystem der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA von 1990 bis 2002 lässt für alle auf dem Markt befindlichen Statine unter Berücksichtigung der Verordnungszahlen eine vergleichbare Häufigkeit von Rhabdomyolysen erkennen.19 Auch eine aktuelle Analyse der Daten von elf regionalen US-amerikanischen Gesundheitsversorgern ergibt ähnliche Inzidenzen für Atorvastatin, Simvastatin und Pravastatin.20

 Eine überlegene Wirksamkeit von Atorvastatin (SORTIS) im Vergleich zu anderen Statinen ist weder für die Primär- noch für die Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen nachgewiesen. Für die Mehrzahl der Patienten fehlt somit der Beleg für einen Vorteil von Atorvastatin.

 In der wichtigsten Indikation für ein Statin, der Langzeitsekundärprophylaxe chronischer atherosklerotischer Erkrankungen, ist nicht einmal die Gleichwertigkeit mit den etablierten Statinen Simvastatin (ZOCOR u.a.) und Pravastatin (PRAVASIN u.a.) belegt.

 Wir erachten die Anzeigenkampagne des Herstellers als Panikmache und gezielte Irreführung der Öffentlichkeit, mit der Pfizer versucht, den Umsatz des Produktes (515 Millionen (/Jahr über öffentliche Apotheken) ungeschmälert zu erhalten.

© 2004 arznei-telegramm

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