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Nebenwirkungen

TIBOLON (LIVIELLA) ERHÖHT REZIDIVRISIKO NACH BRUSTKREBS

2003 wurde die randomisierte HABITS*-Studie zur Sicherheit von Sexualhormonen bei Frauen mit Brustkrebs in der Vorgeschichte wegen eines erhöhten Rezidivrisikos unter der Intervention vorzeitig abgebrochen (a-t 2004; 35: 27).1 Jetzt wird bekannt, dass auch das 19-Nortestosteronderivat Tibolon (LIVIELLA) das Rezidivrisiko bei Frauen mit operativ behandeltem Mammakarzinom ohne Fernmetastasen steigert. Zu diesem Ergebnis kommt die bereits im Juli 2007 vorzeitig gestoppte randomisierte LIBERATE*-Studie, die erst im Januar dieses Jahres vollständig publiziert wurde. Die Studie sollte die Sicherheit der Behandlung von Wechseljahresbeschwerden mit Tibolon bei Brustkrebspatientinnen untersuchen. 3.148 im Mittel 53 Jahre alte Frauen mit vasomotorischen Beschwerden, deren Krebsoperation durchschnittlich zwei Jahre zurückliegt und die in der Mehrzahl (70%) das Antiöstrogen Tamoxifen (NOLVADEX, Generika) einnehmen, werden randomisiert einer Therapie mit täglich 2,5 mg Tibolon oder Plazebo zugeteilt. Innerhalb von drei Jahren erleiden im Verumarm 237 (15,2%) von 1.556 Frauen ein Rezidiv (= primärer Endpunkt) im Vergleich zu 165 (10,7%) von 1.542 unter Plazebo (Hazard Ratio [HR] 1,40; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,14-1,70; Number needed to harm [NNH] = 22). Bei der Mehrzahl der Rezidive handelt es sich um Fernmetastasen, die unter Verum ebenfalls signifikant häufiger vorkommen (11,0% versus 7,8%; HR 1,38; 95% CI 1,09-1,74; NNH = 31). Das Rezidivrisiko ist besonders bei positivem Östrogenrezeptorstatus des Primärtumors erhöht (HR 1,56; 95% CI 1,22-2,01), was für einen Östrogenrezeptor-vermittelten Effekt spricht. Auch vaginale Blutungen, Hypertrophie des Endometriums und Biopsien der Gebärmutterschleimhaut kommen unter Tibolon häufiger vor.2

* HABITS = Hormonal Replacement Therapy after Breast Cancer - Is It Safe?
LIBERATE = Livial Intervention following Breast cancer: Efficacy, Recurrence, And Tolerability Endpoints

Daten zum Einfluss von Tibolon auf das Brustkrebsrisiko von Frauen ohne Brustkrebs in der Vorgeschichte sind widersprüchlich. Nach der 2003 publizierten epidemiologischen Million Women Study geht die Einnahme mit einem signifikant erhöhten relativen Risiko einher (RR 1,45; 95% CI 1,25-1,68; a-t 2003; 34: 80).3 Eine neuere vom Tibolonanbieter Organon gesponserte Fallkontrollstudie findet keinen Effekt.4 In der randomisierten plazebokontrollierten LIFT-Studie**, die 2006 nach drei Jahren wegen eines erhöhten Schlaganfallrisikos unter Einnahme von täglich 1,25 mg Tibolon vorzeitig gestoppt wurde (a-t 2006; 37: 67), haben die Teilnehmerinnen, ältere Frauen mit Osteoporose, unter Verum ein signifikant erniedrigtes Brustkrebsrisiko (0,27% vs. 0,84%; HR 0,32; 95% CI 0,13-0,80),5 das in dieser Studie als ein sekundärer Endpunkt geprüft wurde. Eine hinreichende Erklärung auch für den Widerspruch zu dem Ergebnis der LIBERATE-Studie fehlt. Der Wirkmechanismus des Mittels ist komplex: Tibolon und seine aktiven Metaboliten haben östrogene, gestagene und androgene Effekte und möglicherweise unterschiedliche Auswirkungen auf gesundes und malignes Gewebe. Die Gründe für die widersprüchliche Evidenz können aber auch in den unterschiedlichen Studienpopulationen liegen.

** LIFT = Long-term Intervention on Fractures with Tibolone

Die Publikation der LIBERATE-Studie war überfällig. Tibolon ist zwar bei Brustkrebs in der Vorgeschichte kontraindiziert.6 Es gibt jedoch Hinweise, dass das Mittel bei betroffenen Frauen off label verordnet wird, da Ärzte es für sicher halten.7 Dennoch gibt es in Deutschland bis heute, eineinhalb Jahre nach Abschluss der Studie, weder vom Hersteller noch von der Zulassungsbehörde eine entsprechende Warnung.

Wie konventionelle Hormone steigert auch das 19-Nortestosteronderivat Tibolon (LIVIELLA) das Rezidivrisiko bei Frauen mit Brustkrebs in der Vorgeschichte.

Wir sehen keine Indikation für das synthetische Steroid. Bei Frauen mit Brustkrebs in der Vorgeschichte (= Kontraindikation) ist vor der Einnahme zu warnen.

  (R = randomisierte Studie)
R1HOLMBERG, L. et al.: Lancet 2004; 363: 453-5
R2KENEMANS, P. et al.: Lancet Oncol. 2009; 10: 135-46
 3Million Women Study Collaborators: Lancet 2003; 362: 419-27
 4OPATRNY, L. et al.: Brit. J. Obstet. Gynaecol. 2008; 115: 169-75
R5CUMMINGS, S.R. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 697-708
 6Essex Pharma: Fachinformation LIVIELLA, Stand Juni 2008
 7TRINH, X.-B. et al.: Eur. J. Obstet. Gynecol. Reprod. Biol. 2006; 124: 207-11

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 6. März 2009

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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