Über 20 Wirkstoffe aus der Gruppe der nichtsteroidalen Entzündungshemmer in mehr als 500 Handelspräparaten erschweren die
Auswahl. Herstellerinformationen und Werbung geben keine Hilfen. Im Gegenteil: Fast jedes neue nichtsteroidale Antirheumatikum (NSAR) wird bei der
Einführung als besonders gut verträglich herausgestellt, z.B. PROLIXAN 300 (Azapropazon): "weitaus günstigste Relation von Antiphlogistie zu
Ulzerogenität", SURGAM (Tiaprofensäure): "Überragender Verträglichkeitsindex", VOLTAREN (Diclofenac):
"hervorragende Toleranz". Auch das fälschlich als Opiatersatz angebotene Ketorolac (TORATEX), das ein Jahr nach der Einführung wegen
vorhersehbarer Schadwirkungen wie akuten Leber- und Nierenversagens vom Markt genommen wurde (a-t 6 [1993],
61), sollte laut Werbung nur "den Schmerz und nicht den Menschen" treffen (a-t 7 [1992],
67).
Aus epidemiologischen Studien und der Spontanerfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen lassen sich nach der Markteinführung
Verträglichkeitsunterschiede häufig gebrauchter nichtsteroidaler Antirheumatika ableiten (vgl. a-t 5
[1994], 45). Ibuprofen (BRUFEN u. a.) erweist sich im Vergleich mit sechs weiteren Antirheumatika als besser verträglich. Diclofenac (VOLTAREN u. a.),
Indometazin (AMUNO u. a.), Ketoprofen (ORUDIS u. a.), Naproxen (NAPROSYN u. a.) und Piroxicam (FELDEN u. a.) haben höhere Risiken, wobei Piroxicam
in dieser Gruppe am schlechtesten abschneidet.1
Besonders riskant ist Azapropazon (TOLYPRIN).1 Vor sieben Jahren charakterisierten wir dieses mit Butazonen wie Phenylbutazon (BUTAZOLIDIN
u.a.) strukturverwandte NSAR: "fällt in der britischen Statistik ähnlich wie Tiaprofensäure (SURGAM) durch häufige und schwere
Unverträglichkeitsreaktionen (Todesfälle!) auf, Phototoxizität" (a-t 10 [1987], 90). Lichtüberempfindlichkeitsreaktionen kommen etwa 50mal
häufiger vor als nach anderen nichtsteroidalen Entzündungshemmern (a-t 7 [1994], 66). Bezogen auf
gleiche Verordnungszahlen werden in Großbritannien unter Azapropazon im Vergleich zu Ibuprofen Magen-Darm-Störungen 15fach häufiger
gemeldet, Nierenschäden zwölfmal und Überempfindlichkeitsreaktionen sowie Leber- und Blutschäden sieben- bis neunfach
häufiger.1
Zweifel an einem die Schadwirkungen überwiegenden Nutzen bestehen auch für Tiaprofensäure (SURGAM, LINDOTAB). Wegen
häufiger und schwerer Komplikationen wie LYELL-Syndrom, QUINCKE-Ödem und Dünndarmperforation forderten wir 1987
Anwendungsbeschränkungen (a-t 10 [1987], 91). Bedrohliche Auswirkungen auf die Blase kommen hinzu. Drei Jahre nach Markteinführung verzeichnet
die australische Arzneimittelbehörde 47 Berichte über Zystitis sowie 24 weitere Meldungen zu Harnwegssymptomen wie Hämaturie, Dysurie und
Inkontinenz. Dagegen liegen für einen Erfassungszeitraum von 21 Jahren für alle übrigen NSAR nur 3 bzw. 71 entsprechende
Verdachtsmeldungen vor.2 Ähnliche Erfahrungen machen die Briten: 69 Berichte über Blasenentzündungen und weitere 32 über
Harnwegsbeschwerden unter Tiaprofensäure stehen 8 Berichten über Zystitis nach allen anderen NSAR gegenüber.3
Die oft älteren Betroffenen klagen über vermehrten und schmerzhaften Harndrang und Hämaturie.3,4 Zystoskopisch und bioptisch hat
der entzündliche Prozeß häufig Ähnlichkeit mit der interstitiellen Zystitis. Die meisten Patienten erholen sich zwar nach Absetzen des
Antirheumatikums.5 Wird der Zusammenhang mit der Tiaprofensäure-Einnahme jedoch verkannt oder die Erkrankung als interstitielle Zystitis
fehlgedeutet, droht irreversibler Schaden.4 Die chronisch entzündete Blase schrumpft. Die entzündlichen Veränderungen können auf
die Schleimhaut des Harnleiters übergreifen und zur Verlegung des Ureters mit Hydronephrose und Nierenversagen führen. Mehreren betroffenen
Patienten wurde die Blase entfernt.3,4 Ein Rote-Hand-Brief mit Hinweis "auf die Wichtigkeit des sofortigen Absetzens für die Rückbildung
der Symptomatik" ist in Vorbereitung.9
Selbst das in Deutschland mit über 55% der Verordnungen marktführende Diclofenac7 (VOLTAREN u. a.) wird in anderen Ländern kritisch
bewertet. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bemängelte 1988 fehlende Warnungen vor der Hepatotoxizität (a-t 8 [1988], 76). Auch in
der britischen Spontanberichterstattung fällt das Rheumamittel durch Häufung von Leberschäden auf (Rang 2 hinter Azapropazon, sechsfach
häufiger als Ibuprofen, Indometazin und Ketoprofen).1 Vor zehn Jahren zog Ciba-Geigy Parallelen in der Leberverträglichkeit von Diclofenac und
Pirprofen (RENGASIL).6 1,2% ernsthafte Leberschäden in Verbindung mit Pirprofen, das zwischenzeitlich wegen Leberschäden und anderer
schwerer Störwirkungen vom Markt gezogen wurde (a-t 12 [1988], 110), und 1% unter Diclofenac scheinen seine herausragende Hepatotoxizität zu
bestätigen.
Isoxicam (PACYL) wurde 1985 wegen Häufung z. T. tödlicher LYELL-Syndrome vom Markt genommen (a-t 10 [1985], 82). Auch gegen die übrigen
Oxicame bestehen Sicherheitsbedenken. Die ungünstig lange Halbwertzeit (50 Stunden) des in Deutschland hinter Diclofenac und Ibuprofen am
dritthäufigsten verordneten Rheumamittels Piroxicam (FELDEN u.a.) kann bei bis zu jedem 10. Verwender exzessiv verlängert sein mit der Folge
zunehmender Störwirkungen durch Wirkstoffkumulation. Gefährdet sind vor allem Leichtgewichtige, Ältere sowie Multimorbide mit
eingeschränkten Organfunktionen (a-t 4 [1988], 40). In der britischen Nebenwirkungserfassung steht Piroxicam unter den Antirheumatika hinter Azapropazon
jeweils auf Rang 2 nach Zahl eingegangener Meldungen pro 100.000 Verordnungen, nach Häufigkeit von Magen-Darm-Zwischenfällen (sechsfach
häufiger als Ibuprofen) und nach Blutschäden (dreimal häufiger als Ibuprofen).1 Das besonders lang wirkende Tenoxicam (TILCOTIL,
Halbwertszeit 100 Stunden) erlangte hierzulande keine Marktbedeutung.
Wegen der schlechten ZNS-Verträglichkeit mit häufigen Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen gilt Indometazin (AMUNO u. a.)
heute nur noch als Reservemittel für schwere Krankheitszustände. Fenbufen (LEDERFEN) fällt durch gehäufte immunogene
Hauterkrankungen auf, seltener auch durch schwere allergische Alveolitis oder Lungeneosinophilie.8
FAZIT: Die Beschränkung auf wenige nichtsteroidale Antirheumatika verschafft dem verordnenden Arzt eine überschaubare Nutzen-Risiko-Situation.
Mittel der Wahl sind kurzwirkende nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen (BRUFEN u.a.) und Diclofenac (VOLTAREN u.a.). Aber selbst Diclofenac
und das Reservemittel Indometazin (AMUNO u.a.) fallen durch Hepatotoxizität bzw. häufige ZNS-Komplikationen auf.
Bei hochgradiger morgendlicher Bewegungseinschränkung eignet sich die abendliche Einnahme mittellang wirkender Antirheumatika wie Naproxen
(NAPROSYN u.a.). Im Vergleich zu Ibuprofen erfordert diese Wahl Konzessionen an die Verträglichkeit.
Auf verschiedene Antirheumatika mit auffälligem Schadspektrum kann verzichtet werden, da sie keine besonderen Wirkvorteile erkennen lassen. Hierzu
rechnen wir Tiaprofensäure (SURGAM u.a.), das die Blase irreversibel schädigen kann, Oxicame wie Piroxicam (FELDEN u.a.) mit unkalkulierbarer
Unverträglichkeit durch Kumulation und Azapropazon (TOLYPRIN), das durch Phototoxizität und häufige Organschäden auffällt. Ihre
Rücknahme vom Markt wäre wünschenswert.
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