ATOMOXETIN (STRATTERA) FÜR ERWACHSENE MIT ADHS?
Seit Juni 2013 ist für den Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin (STRATTERA) auch bei Erwachsenen der Beginn der Behandlung eines Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) zugelassen - vorausgesetzt, es ist sicher, dass ADHS-Symptome bereits in der Kindheit vorhanden waren. Die ADHS-Symptomatik sollte zudem wenigstens mittelgradig ausgeprägt sein.1 Bereits zuvor konnte laut Fachinformation die Fortführung der Therapie ins Erwachsenenalter bei Patienten, die "eindeutig von der Behandlung profitieren", "angemessen" sein.2 Nach dem Methylphenidatpräparat MEDIKINET ADULT ist damit ein zweites Mittel gegen ADHS zum Therapiebeginn bei Erwachsenen verfügbar. Ob ADHS bei Erwachsenen eine valide Diagnose darstellt, ist jedoch umstritten (vgl. a-t 2011; 42: 85-6).3
Die Zulassung basiert auf sechs Kurzzeit- sowie vier "Langzeitstudien". In drei der "Langzeitstudien" mit insgesamt 1.413 Patienten wird Atomoxetin sechs Monate lang doppelblind randomisiert mit Plazebo verglichen.4 Eine dieser Studien verläuft negativ.5 In den beiden anderen6,7 wird gegenüber Plazebo im Mittel ein signifikanter, jedoch allenfalls mäßiger Vorteil von 3 bzw. 6 Punkten auf einer 54 Punkte umfassenden ADHS-Symptomskala errechnet. Die Abbruchraten sind hoch. Sie liegen in den drei Studien zwischen 43% und 62% und unter Atomoxetin 7% bis 13% höher als unter Plazebo. Die vierte, bislang nicht vollständig veröffentlichte Studie untersucht randomisiert Plazebo oder Weiterbehandeln nach sechs Monaten Therapie an 2.017 erwachsenen Patienten. Nur 26% davon erfüllen sowohl nach drei- als auch nach sechsmonatiger Einnahme von Atomoxetin das in der Studie vorgegebene Kriterium für Ansprechen und werden zu Verum oder Plazebo randomisiert. Von diesen werden nach weiteren sechs Monaten unter Atomoxetin nur 64% (dies wären aber nur noch 17% der ursprünglichen Anwender) als Responder eingestuft, unter Plazebo 50% (p = 0,001).4 Es bleibt somit die Frage offen, wer überhaupt längerfristig von dem Mittel profitieren könnte. Langzeitstudien zum Vergleich mit Methylphenidat fehlen ebenso wie Dosisfindungsstudien.4
Als sehr häufige Störwirkungen fallen Übelkeit (33% versus 8% unter Plazebo), Mundtrockenheit (26% vs. 7%), Abgeschlagenheit (insgesamt 14% vs. 8%), Schlaflosigkeit (12% vs. 7%), verminderter Appetit (18% vs. 4%) und erektile Dysfunktion (10% vs. 2%) auf. Auch schwere Störwirkungen, z.B. bei Übelkeit und Kopfschmerzen, sind häufiger (insgesamt 14% vs. 9%).4 Wie bei Kindern gibt es auch bei Erwachsenen Sicherheitsbedenken, unter anderem hinsichtlich Zunahme von Suizidalität (vgl. a-t 2005; 36: 102), Aggression, Leber- (vgl. a-t 2005; 36: 33-5) sowie kardiovaskulärer Schäden (vgl. e a-t 1/2012).1
Einmal täglich 80 mg Atomoxetin (STRATTERA; 28 Kps. zu 80 mg: 149,29 €, Österreich: 180,75 €) kosten monatlich 159,95 € und damit etwa das Dreifache von zweimal täglich 20 mg Methylphenidat (MEDIKINET ADULT; monatlich 53,42 € bei 44,52 € für 50 Retardkps. zu 20 mg).
Mit Atomoxetin (STRATTERA) wurde ein weiteres Mittel für den Beginn der Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) bei Erwachsenen zugelassen. ADHS ist als Diagnose bei Erwachsenen jedoch umstritten.
Allenfalls mäßige Effekte und hohe Abbruchraten in Langzeitstudien lassen an einem relevanten Nutzen zweifeln.
Langzeitstudien zum Vergleich mit Methylphenidat (MEDIKINET ADULT) fehlen. Bedenken zur Sicherheit unter anderem hinsichtlich Aggression, Suizidalität, Leber- und kardiovaskulärer Schäden bestehen auch bei Erwachsenen. Wir sehen keine Indikation.
(R =randomisierte Studie) | |
1 | Lilly: Fachinformation STRATTERA, Stand Mai 2013 |
2 | Lilly: Fachinformation STRATTERA, Stand Dez. 2011 |
3 | MONCRIEFF, J., TIMIMI, S.: BMJ 2010; 340: 736-7 |
4 | MHRA: Public Assessment Report STRATTERA, Mai 2013 http://www.mhra.gov.uk/home/groups/pl-a/documents/websiteresources/con020684.pdf |
R 5 | ADLER, L.A. et al.: J. Atten. Disord. 2008; 11: 720-7 |
R 6 | ADLER, L.A. et al.: J. Clin. Psychopharmacol. 2009; 29: 44-50 |
R 7 | YOUNG, J.L. et al.: Clin. Neuropharmacol. 2011; 34: 51-60 |
© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 8. November 2013
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