Das Prostatakarzinom ist nach dem Bronchialkrebs die zweithäufigste bösartige Geschwulst des Mannes (vgl. a-t 3 [1985], 19). Die
Erkrankung verläuft im Frühstadium weitgehend symptomlos und wird meist entdeckt, wenn Männer wegen Beschwerden beim Wasserlassen zum
Arzt gehen. Aber auch metastasenbedingte Schmerzen (Kreuzschmerzen, ischiasartige Beschwerden), Routineuntersuchungen der Prostata (einmal jährlich
für Männer ab 45 Jahre) oder histologische Untersuchungen nach Eingriffen (transurethrale Resektion der Prostata, TUR) wegen gutartiger
Prostatavergrößerung können den Krebs aufdecken.
Die Zahl der Erkrankten nimmt nach dem fünfzigsten Lebensjahr stark zu und liegt bei über 75jährigen bei 1% bis 2%. Noch häufiger sind
histologisch positive Befunde. 50% bis 70% der Hochbetagten haben ein klinisch symptomloses Prostatakarzinom. Die Prognose ist relativ gut: Bei 80% bis 90% der
Männer, die innerhalb von zehn Jahren nach Diagnose eines lokalisierten Karzinoms sterben, geht der Tod auf andere Ursachen zurück. Dagegen leben
Patienten mit metastasierendem Prostatakrebs durchschnittlich nur noch zwei bis drei Jahre.1
NICHT-METASTASIERTE STADIEN: Mit der radikalen Prostatektomie, Bestrahlung oder symptomorientierten Therapie, den drei heute üblichen
Behandlungsformen des lokalisierten Prostatakarzinoms (innerhalb der Kapsel wachsend [T1, T2a-c; Stadieneinteilung s. Kasten] und gut bis mäßig
differenziert [G1-2]), lassen sich vergleichbare Zehnjahres-Überlebensraten erzielen1 allerdings mit unterschiedlicher Beeinträchtigung der
Lebensqualität.
Die radikale Prostatektomie verursacht bei etwa 10% der Patienten Harninkontinenz. Verbesserte chirurgische Techniken erhalten bei bis zu 70% der
über den retropubischen Zugang Operierten die Potenz.1 In den USA wurden in den letzten Jahren zwar zunehmend häufiger Karzinome in
frühen Stadien diagnostiziert und radikal operiert. Doch beeinflußte dies die Mortalitätsraten kaum.2
Auch Bestrahlung kann einen lokalisierten Prostatakrebs auf Dauer heilen. 85% der Patienten bleiben 15 Monate nach perkutaner Radiatio potent, nach
sieben Jahren sinkt diese Rate auf 50%. Jeder Zehnte leidet unter strahlenbedingten Spätschäden, am häufigsten an einer chronischen
Entzündung des Mastdarms. In gut bis mäßig differenzierte Tumoren mit einem Durchmesser unter fünf Zentimetern kann radioaktives Gold
oder Iridium implantiert werden, das die Strahlendosis auf die Geschwulst konzentriert. Diese interstitielle Strahlentherapie verursacht weniger
Frühkomplikationen und bewahrt 90% der Patienten die Potenz.
Nach einer kurativen Behandlung sind regelmäßig rektaler Tastbefund und prostataspezifisches Antigen (PSA) zu kontrollieren. Ein Anstieg des
Tumormarkers zeigt früher als andere Untersuchungen erneutes Krebswachstum an.1
Behandlungen mit kurativer Absicht kommen nicht in Betracht für Männer mit einer karzinomunabhängigen Lebenserwartung von weniger als zehn
Jahren, Einwachsen des Tumors in Nachbargewebe außer in die Samenblasen (T4) oder deutlich erhöhten Spiegeln von saurer Phosphatase oder PSA,
die für Metastasen sprechen. PSA-Spiegel unter 25 U/l machen Lymphknotenbefall unwahrscheinlich.
Die symptomorientierte Behandlung setzt erst bei Beschwerden oder schnellem Tumorwachstum ein und erspart dem Krebskranken anfangs die
Komplikationen radikaler Behandlungen. Doch kann auch das Wissen um die unbehandelte Geschwulst die Lebensqualität erheblich
beeinträchtigen.
Ein im Rahmen einer TUR wegen Blasenentleerungsstörungen zufällig entdeckter Prostatakrebs, der in weniger als 5% der entnommenen Gewebsproben
(T1a) nachweisbar ist, erfordert keine primär kurative Behandlung. Jüngere Personen sind jedoch regelmäßig nachzuuntersuchen, da der Tumor
fortschreiten und behandlungsbedürftig werden kann. Für Patienten mit nichttastbarem, sonographisch und radiologisch nicht darstellbarem, aber durch
Feinnadelbiopsie nachgewiesenem Prostatakrebs (T1c) gibt es keine durch klinische Studien abgesicherten Therapieempfehlungen. Bei wenig differenziertem (G3)
Krebs (T1-3) oder gut bis mäßig differenziertem (G1-2), die Kapsel überschreitendem (T3) Tumor kommen die Entfernung lokaler Lymphknoten und
eine Bestrahlung in Betracht.1
METASTASIERENDE STADIEN: Therapie der Wahl ist die palliative endokrine Behandlung. Sie zielt auf eine Verlangsamung bzw. Hemmung des
Tumorwachstums durch Entzug bzw. Blockade des wachstumsfördernden Androgens (vgl. a-t 4 [1992], 36).
Heute stehen beidseitige Hodenentfernung (Orchiektomie) oder medikamentöse Senkung des Testosteronspiegels mit Gonadotropin-Releasing-Hormon-
Agonisten (Gn-RH-Agonisten) wie Goserelin (ZOLADEX, vgl. a-t 1 [1989], 4) an erster Stelle. Bisherige Studien lassen nicht erkennen, ob es vorteilhafter ist, die
Behandlung frühzeitig oder erst bei symptomatischer Erkrankung zu beginnen.1,3
Für die Orchiektomie sprechen schnell einsetzende Wirkung, fehlende Herz- und Gefäßkomplikationen sowie niedrige Kosten. Sinkende
Testosteronspiegel vermindern Libido sowie erektile Funktion und verursachen Hitzewallungen und Schwitzen. Infiltration des Rückenmarks oder peripherer
Nerven und Verlegung der Harnwege erfordern die chirurgische Kastration. Sie empfiehlt sich auch für Patienten, die Medikamente unzuverlässig
einnehmen oder die Operation vorziehen.1
Gn-RH-Agonisten wie Goserelin (ZOLADEX) senken den Spiegel des männlichen Sexualhormons innerhalb von zwei bis vier Wochen auf Werte wie
nach chirurgischer Kastration. Die klinischen Ergebnisse bei der Behandlung des Prostatakarzinoms entsprechen denen der Orchiektomie. Sie ersparen dem
Patienten die Operation und den seelisch belastenden Verlust der Hoden, sind aber mit den übrigen Nachteilen der Orchiektomie behaftet. Goserelin wird als
Depot alle vier Wochen unter die Haut implantiert. Das neuere Leuprorelin (ENANTONE, CARCINIL) läßt sich mit einer feineren Kanüle leichter
und für Arzt und Patient angenehmer injizieren. Ab dem siebten Tag vor Behandlungsbeginn wird für zwei Wochen die Einnahme von
Flutamid (FUGEREL) oder Cyproteronazetat (ANDROCUR) empfohlen. Die Antiandroge sollen vor einer durch anfänglichen Testosteronanstieg verursachten
Zunahme der Krankheitsbeschwerden schützen.1,4
Als Antiandrogene stehen das Progesteron-ähnliche Cyproteronazetat (ANDROCUR) sowie das nichtsteroidale Antiandrogen Flutamid (FUGEREL) zur
Wahl. Das auch gonadotropinsenkende Cyproteronazetat scheint wirksam zu sein. Jedoch fehlen Vergleichsdaten mit Orchiektomie oder Gn-RH-Agonisten für
beide die Testosteron-Rezeptoren blockierende Mittel.1 Unter dem lebertoxischen (vgl. a-t 7 [1993], 74)
Flutamid bleibt angeblich bei der Mehrzahl der Patienten die Potenz erhalten,6 jedoch gibt es auch gegenteilige Beobachtungen. Zusätzlich zu
Orchiektomie und Gn-RH-Agonisten eingenommenes Flutamid (vgl. a-t 4 [1992], 36) soll die Wirkungen aus der
Nebenniere stammender Androgene 5% der Gesamtmenge aufheben. Ob dies die Behandlungsergebnisse verbessert, wird untersucht.
Östrogene wie Polyestradiolphosphat (ESTRADURIN) werden wegen kardiovaskulärer Risiken nicht mehr empfohlen.3
THERAPIEREFRAKTÄRES STADIUM: Ca. 80% der Prostatakarzinome sprechen zunächst gut und hinreichend auf eine endokrine Therapie an.
Früher oder später kommt es allerdings zum sogenannten "hormonrefraktären" Krebswachstum. Die zur Zeit verfügbaren
Behandlungen verlängern in diesem Stadium nicht die mittlere Überlebenszeit von neun Monaten. Eine begonnene endokrine Therapie soll fortgesetzt
werden. Zusätzliche symptomorientierte Maßnahmen dienen ausschließlich der Besserung der Lebensqualität:
Bei organbezogenen und allgemeinen Beschwerden (Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust) können in Erwägung gezogen
werden: Die Molekülkombination aus Östrogen und Stickstoff-Lost Estramustin (ESTRACYT), eine Hormonbehandlung mit Polyestradiolphosphat
(ESTRADURIN), Fosfestrol (HONVAN) oder Glukokortikoiden, außerdem Zytostatika, beispielsweise eine vornehmlich schmerzlindernde
Kombination aus Fluorouracil (FLUOROBLASTIN u.a.), Epirubicin (FARMORUBICIN) und Mitomycin (MITO-MEDAC), wobei jedoch Dosis und Zyklen dem
ausschließlich palliativen Ziel gerecht werden sollen.1
Gegen Schmerzen wirken Parazetamol (BENURON u.a.) bei Bedarf kombiniert mit ausreichend hoch dosiertem Kodein (NEDOLON P u.a.)
oder, insbesondere bei Knochenschmerzen, ein nichtsteroidaler Entzündungshemmer wie Ibuprofen (BRUFEN u.a.) oder Diclofenac (VOLTAREN u.a.). Starke
Schmerzen erfordern Opioide wie retardiertes Morphin (MST MUNDIPHARMA u.a.; vgl. a-t 10 [1993], 94; 2 [1994], 21). Bei ungenügender Schmerzstillung durch Tabletten läßt sich Morphin auch über eine
Infusionspumpe oder einen Periduralkatheter zuführen. Bei starken bewegungsabhängigen Knochenschmerzen kann zusätzlich zu nichtsteroidalen
Antirheumatika ein Kortikoid nützlich sein. Lassen sich Knochenschmerzen mit Medikamenten nicht ausreichend stillen, kommt eine Bestrahlung in
Betracht.1
Personen mit Organschmerzen erhalten zusätzlich Kortikoide, wenn Morphin nicht ausreicht. Auch hier kann eine Bestrahlung schmerzlindernd wirken.
Gegen schmerzhafte Spasmen im Bereich der Blase helfen Antiphlogistika, z.B. Diclofenac (VOLTAREN u.a.).1
Nervenschmerzen sowie eine mit Sensibilitätsstörungen einhergehende drohende Rückenmarkschädigung erfordern eine
Behandlung mit Kortikoiden und/oder die operative Stabilisierung der Wirbelsäule innerhalb von 24 Stunden. Ist dies nicht möglich, kann bestrahlt werden.
Führt das Wachstum der Prostatageschwulst zu Blasenentleerungsstörungen, kommt eine TUR, alternativ auch ein suprapubischer oder durch die
Harnröhre eingeführter Blasenkatheter in Betracht.1
FAZIT: Radikale Prostatektomie, Bestrahlung und symptomorientierte Behandlung erreichen beim nicht metastasierten Prostatakarzinom vergleichbare
Zehnjahres-Überlebensraten allerdings mit unterschiedlichen Folgen für die Lebensqualität. Gibt es bereits Tochtergeschwülste,
hemmen Androgenentzug oder -blockade in erster Linie Orchiektomie oder Gn-RH-Agonisten wie Goserelin (ZOLADEX) das Tumorwachstum und
lindern Beschwerden. Alle Behandlungsformen verursachen häufig bleibende Schäden und Impotenz. Bei therapierefraktärem Krebswachstum wird
die Linderung von Schmerzen und Allgemeinbeschwerden alleiniges Behandlungsziel.
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