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Im Blickpunkt

QUALITÄTSSICHERUNG IN DER THERAPIE -
CHOLESTERINSENKUNG: FÜR WEN?

Bis Ende 1994 war der klinische Nutzen der Senkung erhöhter Serumcholesterinwerte umstritten. In Interventionsstudien mit Diät, Fibraten, Nikotinsäure oder Austauscherharz nahmen Herzkranzgefäßerkrankungen und koronare Sterblichkeit durch Primär- und Sekundärprävention zwar ab, ein günstiger Einfluß auf die Gesamtmortalität blieb jedoch aus (a-t 7 [1995], 78). Für die Zunahme der nichtkardiovaskulären Todesfälle in diesen Untersuchungen wurden vermehrte Suizide, Unfälle, Karzinome, Gallenblasen-Operationen und andere Ursachen diskutiert.1,2 Zwei umfangreiche Interventionsstudien mit Cholesterin-Synthese-Enzym (CSE)- Hemmern (Tabellen 1 und 2) erlauben jetzt weitere Rückschlüsse.

  • In der skandinavischen 4S (Scandinavian Simvastatin Survival)-Studie mindert die Einnahme von Simvastatin (DENAN, ZOCOR) die Gesamtsterblichkeit von Patienten mit manifester koronarer Herzkrankheit (Sekundärprävention; vgl. a-t 8 [1995], 86; 10 [1995], 101).3
  • In der WOS (West of Scotland Coronary Prevention)-Studie nehmen unter Pravastatin (LIPREVIL, PRAVASIN) Herzinfarkte und koronare Todesfälle bei Patienten ohne bekannte koronare Herzkrankheit signifikant ab bei einem Trend zu geringerer Gesamtmortalität (Primärprävention; a-t 3 [1996], 29).4

In beiden Untersuchungen gehen die günstigen Effekte nicht mit einer Zunahme nichtkardiovaskulärer Todesfälle einher. Folgende Empfehlungen zur Cholesterinsenkung lassen sich ableiten:

•  Nach einem Herzinfarkt sollen Patienten zwischen 35 und 70 Jahren und Gesamtcholesterinwerten über 210 mg % einen CSE-Hemmer erhalten. Für Frauen fehlen gute Nutzenbelege. Wahrscheinlich profitieren auch Angina-pectoris-Patienten ohne Myokardinfarkt. Der klinische Nutzen ist bei jüngeren Personen (35 bis 60 Jahre) oder grenzwertiger Hypercholesterinämie (210-240 mg%) weniger deutlich. Die optimale Therapiedauer bleibt offen. Ein Behandlungsbeginn jenseits des 70. Lebensjahres oder die Weiterführung nach dem 75. Lebensjahr läßt sich jedoch nicht begründen. Das Gesamtcholesterin soll unter 200 mg%, jedoch nicht unter 115 mg% gesenkt werden. Der günstigste Bereich steht noch nicht fest. Jeder Todesfall, der in dieser Patientengruppe in einem Zeitraum von fünf Jahren verhindert wird, erfordert einen Aufwand von 275.000 DM für CSE-Hemmer (vgl.Tabelle 2), die Verhinderung eines Myokardinfarkts kostet 150.000 DM, die eines zerebralen Insults 620.000 DM.

•  In zwei klinischen Studien mit mehr als 4.000 (CARE) bzw. über 9.000 (LIPID) Patienten wird derzeit der Nutzen der Pravastatin-Einnahme nach Myokardinfarkt bei Gesamtcholesterin unter 240 mg% geprüft. Vorläufige Ergebnisse deuten an, daß auch diese Patienten von einer Cholesterinsenkung profitieren.5 Allerdings scheint der Nutzen in absoluten Zahlen deutlich geringer zu sein als bei Postinfarkt-Patienten mit höheren Ausgangswerten.

•  Für Patienten ohne manifeste koronare Herzkrankheit mit mäßiger Hypercholesterinämie (Gesamtcholesterin über 250 mg%, LDL 174-232 mg%) läßt sich keine generelle Behandlungsempfehlung geben. Herzkranzgefäßerkrankungen und koronare Sterblichkeit von Männern zwischen 45 und 65 Jahren nehmen zwar ab, wenn erhöhte Cholesterinwerte gesenkt werden, koronare Erkrankungen und Todesfälle aus kardiovaskulärer Ursache kommen in dieser Patientengruppe jedoch insgesamt deutlich seltener vor als bei manifester koronarer Herzkrankheit. Der absolute therapeutische Nutzen der medikamentösen Intervention fällt somit geringer aus. Um einen Todesfall in fünf Jahren zu verhindern, müßten 1,3 Mio DM für CSE-Hemmer aufgewendet werden.



Die Europäische Arteriosklerose-Gesellschaft (EAS) rät zur Cholesterinsenkung nur bei Patienten, die in fünf Jahren ein mehr als 10%iges Risiko einer koronaren Herzkrankheit haben.6 Nach vorveröffentlichten Folgeanalysen der WOS-Studie trifft dies für Männer zwischen 45 und 65 Jahren mit Hypercholesterinämie nur dann zu, wenn sie mindestens einen weiteren Risikofaktor wie Rauchen, familiäre Belastung, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus oder einen LDL/HDL-Cholesterin-Quotienten über 5 aufweisen. Auch die Autoren der WOS-Studie empfehlen die Primärprävention nur für diese Patientengruppe. Jüngere im Alter zwischen 45 und 55 Jahren oder Personen mit milder Hypercholesterinämie (Gesamtcholesterin 240- 270 mg%, LDL 174-190 mg%) profitieren deutlicher als Ältere (55 bis 65 Jahre) oder Patienten mit höheren Cholesterinwerten (Gesamtcholesterin über 270 mg%, LDL über 190 mg%). Die Behandlung soll bei über 65jährigen nicht neu beginnen und nicht über das 70. Lebensjahr hinaus weitergeführt werden.

•  Größere klinische Interventionsstudien mit Patienten ohne manifeste koronare Herzkrankheit und erheblicher Hypercholesterinämie (Gesamtcholesterin über 300 mg%, LDL über 230 mg%) fehlen. Nach den Ergebnissen der WOS-Studie läßt sich für 45- bis 65jährige Männer bei mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor für eine koronare Herzkrankheit eine Cholesterinsenkung gut begründen. Für die medikamentöse Behandlung von Frauen und über 70jährigen gibt es in dieser Situation keine relevanten Argumente.7,8

Jeder medikamentösen Choleserinsenkung soll eine diätetische Beratung und Behandlung über zwei bis drei Monate vorausgehen (Gesamtfettzufuhr ca. 30% der Gesamtkalorien, gesättigte Fettsäuren ca. 10%, ungesättigte Fettsäuren ca. 10%, Cholesterin ca. 300 mg/Tag). In den größeren Interventionsstudien sank das Cholesterin bei einem Teil der Patienten allein durch Umstellung der Ernährung ausreichend, so z.B. bei 20% der für die 4S-Studie rekrutierten Personen, in der WOS-Studie bei mehr als 20%.

Zur medikamentösen Behandlung der Hypercholesterinämie werden heute in erster Linie CSE-Hemmer empfohlen. Die wichtigsten Studien wurden mit Simvastatin (DENAN, ZOCOR) oder Pravastatin (LIPREVIL, PRAVASIN) durchgeführt. Solange die optimalen Zielbereiche für die Cholesterinwerte nicht feststehen, orientiert sich die Dosierung am besten an den in diesen Studien verwendeten (Tabelle 1). Tagesdosen über 40 mg steigern die Wirksamkeit nicht wesentlich. Ionenaustauschharze kommen grundsätzlich als Alternative in Frage. Complianceraten von unter 50% nach einem Jahr schränken jedoch die Anwendbarkeit ein.


© 1996 arznei-telegramm

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