Die Schlagzeilen über Kalziumantagonisten reißen nicht ab: Verdacht auf Zunahme kardialer Risiken bzw. Übersterblichkeit bei
Hypertonikern und Patienten mit koronarer Herzkrankheit (a-t 10 [1995], 97), bedrohliche Blutungen, die sich auf
Beeinträchtigung der Blutgerinnung zurückführen lassen (a-t 5 [1996], 50), PARKINSON-Syndrom (a-t 6 [1996], 61) und jetzt Krebs:
Nach tierexperimentellen Befunden, die auf dem amerikanischen Kardiologenkongreß im März dieses Jahres vorgestellt wurden, beeinträchtigen
Kalziumantagonisten die Apoptose,1 einen körpereigenen Schutzmechanismus zur Eliminierung von Karzinomzellen. Eine prospektive Kohortenstudie
an 5.000 über 70jährigen Personen erneuert nun den Verdacht auf kanzerogene Eigenschaften dieser Stoffgruppe.2 Auf der Basis von 47
Krebserkrankungen bei Verwendern kurzwirkender Kalziumantagonisten wie Verapamil (ISOPTIN u.a.), Nifedipin (ADALAT u.a.) und Diltiazem (DILZEM u.a.)
berechnen die Autoren ein durchschnittlich um 70% erhöhtes Erkrankungsrisiko an Krebs innerhalb von knapp vier Jahren (lymphatisches und blutbildendes
System, Uterus und Adnexe, Magen, Kolon u.a.). Für ACE-Hemmer, Betarezeptorenblocker, Diuretika u.a. läßt sich keine erhöhte
Gefährdung erkennen.1
Auch eine schwedische Fallkontrollstudie an Patienten mit Adenokarzinom des Dickdarms weist für Verapamil ein erhöhtes Kolonkarzinomrisiko aus, eine
ältere Studie auch für den chemisch nicht mit Kalziumantagonisten verwandten Blutdrucksenker Hydralazin (z.B. in TRELOC). Hydrazine sind bekannte
Karzinogene und dienen im Tierversuch zur experimentellen Induktion von Kolonkrebs.3
Die neuen experimentellen Befunde und die epidemiologischen Studien geben nur einen Anhalt zur Abschätzung des Risikos, aber Anlaß, die Indikationen
für Kalziumantagonisten erneut zu überdenken:
Bluthochdruck: Diuretika und Betarezeptorenblocker sind wegen des nachgewiesenen positiven Einflusses auf die Häufigkeit von
Folgeerkrankungen und die Lebenserwartung Mittel der Wahl (a-t 12 [1993], 130). Kalziumantagonisten kommen nur
noch in Frage, wenn Erstwahlmittel nicht vertragen werden oder eine weitere Blutdrucksenkung erforderlich ist.
Stabile Angina pectoris: Zur anti-ischämischen Behandlung dienen Nitrate und Betarezeptorenblocker als Mittel der Wahl. Bei unzureichender
Wirksamkeit kommt zusätzlich retardiertes Nifedipin (ADALAT RETARD u.a.) in Betracht, sind Betablocker kontraindiziert oder werden sie nicht vertragen, auch
Diltiazem oder Verapamil.
Instabile Angina pectoris: Heparin (LIQUEMIN u.a.), Azetylsalizylsäure (ASPIRIN u.a.), Betarezeptorenblocker und Nitrate (in der Regel
parenteral) sind Mittel der Wahl. Kurzwirksame Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp wie Nifedipin sind wegen des Verdachts der Übersterblichkeit
unzweckmäßig. Der Nutzen von Diltiazem und Verapamil ist unzureichend dokumentiert.
Frühphase nach akutem Herzinfarkt: Im Gegensatz zu Thrombolyse, Azetylsalizylsäure und Betarezeptorenblockern sowie ACE-Hemmern
bei Herzinsuffizienz haben Dihydropyridin-Kalziumantagonisten keinen Platz in der Therapie. Liegt keine Herzinsuffizienz vor, können Diltiazem und Verapamil
bei Kontraindikationen für Betablocker erwogen werden.
1 | Scrip 2121 (1996), 25 |
2 | PAHOR, M. et al.: Lancet 348 (1996), 493 |
3 | HARDELL, L. et al.: Lancet 348 (1996), 542 |
|