MEHR HERZINFARKTE UNTER ANTIDIABETIKUM ROSIGLITAZON (AVANDIA): Verdacht auf Kardiotoxizität erhärtet | ||||||||
* Vorversion am 23. Mai 2007 als blitz-a-t veröffentlicht. Die blutzuckersenkende Therapie bei Typ-2-Diabetes soll Symptomen der Hyperglykämie und mikro- sowie makrovaskulären Folgeerkrankungen
vorbeugen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Haupttodesursache bei diesen Patienten. Ein günstiger Einfluss der Blutzuckersenkung auf die hohe
kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei Typ-2-Diabetes ist bislang nicht nachgewiesen worden (a-t
2002; 33: 17-8). Jetzt erhärtet sich der Verdacht, dass das Antidiabetikum Rosiglitazon (AVANDIA) die Herzinfarktrate sogar steigern
könnte.
Die Aussagekraft der Metaanalyse wird zwar dadurch eingeschränkt, dass die Ereignisrate insgesamt gering ist, die ausgewerteten Studien auf die Endpunkte nicht angelegt sind und - mit Ausnahme der DREAM-Studie - eine Endpunktbeurteilung nicht beschrieben wird. Die Ergebnisse stellen jedoch ein deutliches Risikosignal dar. Bestätigt werden sie zudem durch eine herstellereigene gepoolte Analyse von 42 überwiegend sechsmonatigen randomisierten Doppelblindstudien mit insgesamt mehr als 14.000 Patienten, nach der das relative Risiko ischämischer myokardialer Komplikationen unter Rosiglitazon um etwa 30% zunimmt (1,99% versus 1,51% unter Plazebo oder anderen Antidiabetika; HR 1,31; 95% CI 1,01-1,70).4 Sowohl GlaxoSmithKline als auch die FDA geraten durch die Publikation unter Druck. Die firmeneigene gepoolte Analyse mit dem deutlichen Risikosignal hatte Glaxo der FDA bereits im August 2006 übermittelt. Die Behörde, die selbst eine Auswertung auf der Basis individueller Patientendaten vornimmt und bislang zu keinem definitiven Schluss gekommen ist, sieht sich erneut mit dem Vorwurf der Untätigkeit konfrontiert.5 Nach Auskunft eines US-Senators, der an einer jetzt eingeleiteten Untersuchung zur Sicherheit von Rosiglitazon beteiligt ist, habe es innerhalb der FDA bereits vor Monaten die Forderung gegeben, wegen des erhöhten Herzinfarktrisikos eine so genannte Black-box-Warnung - die schärfste Form der Warnung - in die Fachinformation aufzunehmen. Bereits vor einem Jahr sei innerhalb der FDA eine Black-box-Warnung vor Herzinsuffizienz unter Rosiglitazon gefordert worden. Vorläufige Ergebnisse der FDA-eigenen Auswertung sollen im Übrigen ähnlich der Analyse des Herstellers und der publizierten Metaanalyse einen Anstieg des Herzinfarktrisikos unter dem Glitazon um 40% gezeigt haben.6 Dem Hersteller wird vorgeworfen, einen oder mehrere Experten, die zum kardiovaskulären Sicherheitsproblem von Rosiglitazon Stellung nehmen wollten, mundtot gemacht zu haben.5 Dem zukünftigen Präsidenten der Amerikanischen Diabetesgesellschaft wurden nach eigenen Angaben nach einem Vortrag über die kardialen Risiken von Rosiglitazon im Jahr der Marktzulassung des Mittels von der Firma rechtliche Schritte angedroht.7,17 In die europäische Fachinformation sind die Ergebnisse der gepoolten Auswertung des Herstellers zwar aufgenommen worden, allerdings nur als kleingedruckte Anmerkung zur Nebenwirkungstabelle.8 Auf die Publikation im New England Journal of Medicine reagiert die europäische Arzneimittelbehörde EMEA mit einer halbseitigen Presseerklärung. Ohne dass darin eine einzige Ergebniszahl offengelegt wird, ist bagatellisierend von einem "kleinen" Risikoanstieg von Herzinfarkten und kardiovaskulärem Tod unter Rosiglitazon die Rede.9 Ist der Behörde eigentlich klar, dass es sich bei einem relativen Risikoanstieg um 43% bzw. 64% um eine Größenordnung handelt, die auf der Nutzenseite in der Behandlung chronischer Erkrankungen beispielsweise mit Statinen oder Thrombozytenaggregationshemmern nicht erreicht wird? Durch diese Strategien wird das relative Risiko kardiovaskulärer Komplikationen üblicherweise um 20% bis 30% gesenkt. Die anhaltende Debatte um die Sicherheit von Rosiglitazon nach Veröffentlichung der Metaanalyse veranlasst zwei Wochen später die Studienleiter der noch laufenden Hersteller-gesponserten Langzeitstudie RECORD***, eine ungeplante Zwischenanalyse zu publizieren.10 Die Auswertung ist jedoch auch nach Einschätzung der drei begleitenden Kommentare11-13 ungeeignet, die Sicherheitsbedenken zu entkräften. In der offen durchgeführten Nichtunterlegenheitsstudie nehmen 2.220 von 4.447 Patienten mit Typ-2-Diabetes Rosiglitazon zusammen mit einem Sulfonylharnstoff oder Metformin ein, die übrigen eine Kombination aus Sulfonylharnstoff und Metformin. Primärer Endpunkt sind Krankenhauseinweisungen wegen kardiovaskulärer Komplikationen oder kardiovaskulär bedingte Todesfälle. Wegen einer unerklärt niedrigen Gesamtereignisrate ist die Studie derzeit schon im Hinblick auf den primären Endpunkt völlig unterpowert, erst recht aber im Hinblick auf die Herzinfarktrate. Für beide Endpunkte ergibt sich nach durchschnittlich 3,75 Jahren ein zumindest numerischer Risikoanstieg (primärer Endpunkt: HR 1,08, 95% CI 0,89-1,31; Herzinfarkt: HR 1,16; 95% CI 0,75-1,81), bei der kardiovaskulären und der Gesamtsterblichkeit eine numerische Senkung (HR 0,83; 95% CI 0,51-1,36 und HR 0,93; 95% CI 0,67- 1,27).10 Diese Ergebnisse widersprechen dem bisherigen Kenntnisstand nicht. In einem der drei Kommentare wird eine metaanalytische Auswertung der bisherigen Studien unter Hinzuziehung der RECORD-Daten präsentiert, die erneut eine signifikante Zunahme des Herzinfarktrisikos etwa 30% (OR 1,33; 95% CI 1,02-1,72) signalisiert.11 Das Herzinsuffizienzrisiko wird in der RECORD-Studie selbst signifikant gesteigert (1,7% vs. 0,8%; HR 2,24; 95% CI 1,27-3,97; NNH = 111).
Nach einer Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien nimmt unter dem Antidiabetikum Rosiglitazon (AVANDIA) das Herzinfarktrisiko signifikant zu. Eine herstellereigene gepoolte Analyse von Doppelblindstudien kommt zu ähnlichem Ergebnis. Die Zwischenanalyse der noch nicht abgeschlossenen Langzeitstudie RECORD, die einen numerischen Anstieg der Herzinfarktrate ergibt, kann die Sicherheitsbedenken nicht entkräften. Erneut nimmt in dieser Studie die Herzinsuffizienzrate signifikant zu. Wegen des dringenden Verdachts auf Kardiotoxizität hat Rosiglitazon außerhalb randomisierter kontrollierter Studien keinen Platz in der Behandlung des Diabetes mellitus. Auch von dem Glitazon Pioglitazon (ACTOS) raten wir wegen Steigerung des Herzinsuffizienzrisikos ab. Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir neben Insulin nur für den Sulfonylharnstoff Glibenclamid (EUGLUCON u.a.) und - bei übergewichtigen Patienten - das Biguanid Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) eine Indikation zur blutzuckersenkenden Therapie bei Typ-2-Diabetes, sofern keine Kontraindikationen vorliegen (vgl. a-t 1998; Nr. 10: 88- 90). Wenn die Monotherapie mit Glibenclamid oder Metformin unzureichend wirkt, ist auf Insulin umzustellen. |
| (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse) | |
M |
1 |
NISSEN, S.E., WOLSKI, K.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: online publ. am 21. Mai 2007 |
R |
2 |
The DREAM Trial Investigators: Lancet 2006; 368: 1096-105 |
R |
3 |
KAHN, S.E. et al.: N. Engl. J. Med. 2006; 355: 2427-43 |
4 |
FDA Issues Safety Alert on Avandia; 21. Mai 2007; | |
5 |
Scrip 2007; Nr. 3262: 14 und 23 | |
6 |
Scrip 2007; Nr. 3263/64: 27 | |
7 |
SAUL, S.: New York Times vom 7. Juni 2007 | |
8 |
GlaxoSmithKline: Fachinformation AVANDIA, Stand Jan. 2007 | |
9 |
EMEA Statement on recent publication on cardiac safety of rosiglitazone (AVANDIA,
AVANDAMET, AVAGLIM), 23. Mai 2007; | |
R |
10 |
HOME, P.D. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: online publ. am 5. Juni 2007 |
11 |
PSATY, B.M., FURBERG, C.D.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: online publ. am 5. Juni 2007 | |
12 |
NATHAN, D.M.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: online publ. am 5. Juni 2007 | |
13 |
DRAZEN, J.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: online publ. am 5. Juni 2007 | |
R |
14 |
UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 854-65 |
15 |
Transcripts of FDA Press Conferences on the Safety Issues Associated with Avandia, 21. Mai
2007; | |
R |
16 |
DORMANDY, J.A. et al.: Lancet 2005; 366: 1279-89 |
17 |
HARRIS, G.: New York Times vom 7. Juni 2007 |
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